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Aktuelle Politik-Bücher: Anhören und mitreden

Aktuelle Politik-Bücher: Anhören und mitreden

Eine Nachricht jagt die nächste, ein Tweet den anderen – der stete Informationsstrom zur aktuellen politischen Lage kann überfordern. Was im stetigen Rauschen zu kurz kommt, ist ein wirkliches Durchdenken politischer Themen. Politik-Bücher bleiben darum auch in Zeiten sich überschlagender Neuigkeiten relevant: Weil sie über das Tagesgeschehen hinaus einordnen, differenzieren, analysieren. Diese aktuellen politischen Bücher sind es wert, gehört und diskutiert zu werden.

Realsatire at it's best: Mit Martin Sonneborn nach Brüssel

Mit Herr Sonneborn geht nach Brüssel erschien 2019 das wohl lustigste – und zugleich erhellendste – Buch, das je über Europa-Politik geschrieben wurde. Nun geht das Abenteuer weiter: Martin Sonneborn, ehemaliger „Titanic“-Chefredakteur und einziger Abgeordneter der Partei „Die Partei“, berichtet von der sich dem Ende zuneigenden Legislaturperiode unter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Herr Sonneborn bleibt in Brüssel

Unter dem Motto „Europa nicht den Leyen überlassen“ schaltet sich der Satiriker in Debatten zum Green Deal, zum Bergkarabach-Konflikt und zur digitalen Überwachung der EU-Bürger ein. Zudem prangert er pointiert und gnadenlos die „moralische Wustigkeit“ etlicher EU-Kommissions-Abgeordneter an. Doch Sonneborn mischt nicht nur die Büros der EU-Verwaltung kräftig auf – auch im Londoner Hochsicherheitsgefängnis „Hellmarsh“ und in Ostdeutschland ist er unterwegs und kommentiert mit messerscharfem Blick allerlei politischen Irrsinn. Herr Sonneborn bleibt in Brüssel ist lustig bis an die Schmerzgrenze. Und darüber hinaus.

Analytisch und profund: Politische Bücher, über die gesprochen wird

Die aktuelle politische Lage mit Humor zu betrachten, liegt den Autorinnen und Autoren der folgenden Bücher eher fern. Zerrissen, gespalten, in Auflösung begriffen – geht es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland und der Welt, zeichnen sie ein düsteres Bild. Doch woran liegt es, dass es über kaum ein Thema mehr einen Minimalkonsens zu geben scheint? Auf diese Frage finden die hier vorgestellten Politik-Bücher unterschiedliche Antworten.

Elon Musk und die Zerstörung von Twitter

2022 übernahm Elon Musk für 44 Milliarden Dollar die Social Media-Plattform Twitter – etwas Vergleichbares hat man in der Medienlandschaft noch nicht gesehen. Der launische CEO entschied seitdem, was als freie Meinungsäußerung gilt und wie Content auf Twitter (jetzt: X) moderiert werden soll. Es ist eine beunruhigende Darstellung davon, wie Vermögen Einfluss auf Demokratie hat.

Kate Conger und Ryan Mac schaffen eine cinematische Reportage über Elon Musk und die Zerstörung von Twitter. Sie führten hunderte Interviews mit (ehemaligen) Mitarbeitenden für ihr Buch, und es spiegelt sich in seinem Detailreichtum. Gleichzeitig investigativer Journalismus, aber auch eine ethische Diskussion über die Grenzen der Meinungsfreiheit, ist dieser Titel tiefgründig und regt zum Nachdenken an.

Am Ende der gewohnten Ordnung

Nationale Interessen werden zunehmend ohne Rücksicht auf andere durchgesetzt, analysiert Politikwissenschaftlerin Sophie Pornschlegel in Am Ende der gewohnten Ordnung. „Fakt ist: Die autoritäre Wende hat ein traditionelles Machtverständnis in die Politik zurückgebracht“, schreibt die Brüssel-Insiderin im Vorwort ihres neuen Buches.

Um angesichts dieser Entwicklungen nicht in Schockstarre zu verfallen, würde den demokratischen Ländern ein neues Machtverständnis guttun, glaubt die Autorin. In ihrem Politik-Buch denkt sie über einen ambivalenten Begriff nach – Macht. Wann wird sie gefährlich? Und wie können Demokratien autokratischen Regimen machtvoll gegenübertreten, ohne sich selbst zu verleugnen? Pornschlegels sachkundige Analyse lädt dazu ein, über das eigene Machtverständnis nachzudenken.

Die große Vertrauenskrise

„Spiegel“-Kolumnist Sascha Lobo ist der Meinung, dass Europäerinnen und Europäer grundsätzlich das Vertrauen in eine demokratische Politik verloren haben. Institutionen, die im 20. Jahrhundert zu den wichtigsten Vertrauensträgern gehörten, werden heute von vielen infrage gestellt, führt der Autor in seinem neuen Buch Die große Vertrauenskrise aus. Diese „Vertrauensimplusion“ aber sei ein Symptom viel tiefergreifender Veränderungen. Welche das sind, zeigt der Autor in seinem Sachbuch auf. „Kern der Vertrauenskrise ist der tiefe und destruktive Zweifel am Funktionieren der Demokratie“, so Sascha Lobo. Eine pointierte, sachkundige und gut verständliche Argumentation.

Die zerrissene Gesellschaft

Eine zunehmende Polarisierung der Gesellschaft beobachten auch Politaktivistin und Künstlerin Claudine Nierth und Co-Autor Roman Huber, der sich im Bundesvorstand des Vereins „Mehr Demokratie“ für Bürgerbeteiligung engagiert. „Linke sprechen kaum mit Rechtskonservativen, geschweige denn mit Rechten. Und umgekehrt. Gleichzeitig vereinsamen immer mehr Menschen. Sie sind innerlich heimatlos und ohne emotionalen Halt“, so die Autoren.

In ihrem Buch Die zerrissene Gesellschaft nehmen sie die kollektiven Traumata in den Fokus, unter denen unsere Gesellschaft unbewusst noch immer leidet. Laut Ansicht des Autoren-Duos verhinderten diese alten Wunden – ebenso wie unter den Tisch gekehrte Konflikte – konstruktive Lösungen für die aktuellen Probleme.

Es gilt also, sich diese verdrängten, über mehrere Generationen vererbten traumatischen Erfahrungen bewusst zu machen. Erst dann könnten wir die gesellschaftliche Spaltung überwinden und die Herausforderungen unserer Zeit beherzt angehen. Mit Blick auf die Erkenntnisse der Resilienzforschung und der Sozialpsychologie fordern die Autoren mehr Bewusstsein für die Bedeutung von Gefühlen in der Politik – wobei erwähnt werden sollte, dass keiner beiden ein Psychologiestudium absolviert hat. Dennoch bietet ihr Buch einen originellen, bedenkenswerten Ansatz.

Alles und nichts sagen

Die österreichische Schriftstellerin Eva Menasse bedauert ebenfalls den schwindenden gesellschaftlichen Zusammenhalt, sieht die Ursachen aber an anderer Stelle. Die digitale Massenkommunikation sei es, die die Demokratie an den Abgrund gebracht habe. Denn seit wir „dauervernetzt und überinformiert“ sind – so die Autorin – hätten fragwürdige Umgangsformen in den sozialen Medien auch auf Politik und Journalismus übergegriffen. Seither würden ein ansteckender Irrationalismus, eine ätzende Skepsis und ein schädliches Freund-Feind-Denken um sich greifen.

Diese Entwicklungen aber unterlaufen die zwischenmenschlichen Beziehungen und zerstören den gesellschaftlichen Zusammenhalt, glaubt Eva Menasse. In ihrem sprachlich eleganten Essay Alles und nichts sagen prangert die vielfach ausgezeichnete Wahl-Berlinerin die „Verheerungen der digitalen Massenkommunikation“ an – und zeigt auf, wie ein sensiblerer, bewussterer Umgang mit dem digitalen Universum aussehen könnte.

Politische Bücher, die Kritik am Kapitalismus üben

Der Kapitalismus ist an allem schuld? Ja – und nein. Die hier vorgestellten politischen Bücher sind sicher links im politischen Spektrum zu verorten, setzen sich aber jenseits von plumpem Kapitalismus-Bashing differenziert mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen auseinander.

Scheiß auf Selflove, gib mir Klassenkampf

Schluss mit Achtsamkeit und Selbstliebe – wenn jeder nur an sich denkt, ist an niemanden gedacht, findet der Satiriker Jean-Philippe Kindler. „Selbst Linke haben jegliches Interesse am ‚Wir‘ verloren“, bedauert er in seinem Buch mit dem plakativen Titel Scheiß auf Selflove, gib mir Klassenkampf.

Stattdessen wünscht sich Jean-Philippe Kindler eine Re-Politisierung der Gesellschaft, bei der das individuelle Wohl wieder stärker in Beziehung zum Allgemeinwohl gedacht wird. Denn es sei eben nicht jede und jeder ihres oder seines Glückes Schmied – psychische Erkrankungen, Obdachlosigkeit oder Armut seien Folge unserer Arbeits- und Lebensweise. Menschen sollten sich daher unabhängig von ihrer Herkunft oder politischen Einstellung als Schicksalsgemeinschaft verstehen, findet der Autor, der sich in seiner scherz- bis schmerzhaften Polemik auf keine Seite schlagen will.

GENUG! Warum wir einen politischen Kurswechsel brauchen

„Der Neoliberalismus ist Klassenkampf von oben“ empören sich Ines Schwerdtner, Chefredakteurin beim sozialistischen Jacobin-Magazin, und der Ökonom Lukas Scholle. Ihr Buch GENUG! Warum wir einen politischen Kurswechsel brauchen versammelt Beiträge unterschiedlicher Autorinnen und Autoren, die einen grundsätzliche Weichenstellung weg von kapitalistisch-geprägter Profitlogik fordern.

Dazu gehören Essays etwa von Sarah-Lee Heinrich, Bundessprecherin der Grünen Jugend, die über „Das System Armut“ schreibt. Dierk Hirschel, Chefökonom bei ver.di, reflektiert über „Gewerkschaftliche Gegenmacht“ und Pflegerin Kira Hülsmann gibt in ihrem Essay „Kaputtgepflegt“ Einblicke in den Pflege-Alltag. So entsteht ein vielschichtiges Bild der aktuellen politischen Lage mit ihren zahlreichen Baustellen.

Schmutziges Geld: Bücher über Finanzskandale

Wer rettet die Welt? Politische Bücher über echte und falsche Heilsbringer

Klima-Krise, Kriege, Rechtspopulismus – geht es um den Zustand der Welt, ist oft von „multiplen Krisen“ die Rede. Es scheint eine ganze Armee von Superhelden zu brauchen, um die Herausforderungen der Gegenwart in den Griff zu bekommen. Manche setzen ihre Hoffnungen in Multi-Milliardäre, andere in Graswurzelbewegungen. Diese politischen Bücher beschäftigen sich mit echten und falschen Hoffnungsträgern.

Druck machen!

Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, ist überzeugt: Politikerinnen und Politiker sowie Lobbyistinnen und Lobbyisten schädigen wissentlich unsere Umwelt und zerstören damit unsere Lebensgrundlage. Das ist die bittere Erfahrung, die er in den fast 50 Jahren machen musste, die er sich bereits für die Umwelt einsetzt. Vor den wirtschaftlichen Interessen großer Konzerne knicken Politikerinnen und Politiker immer wieder ein – zum Schaden der Umwelt und kommender Generationen.

Doch das muss niemand achselzuckend hinnehmen: Mit politischem Druck, originellen Aktionen und gezielten Klagen hat die Deutschen Umwelthilfe einige Erfolge für den Umweltschutz erzielen können – von der Aufdeckung des Dieselskandals über die Durchsetzung des Dosenpfands bis hin zum Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. In Druck machen schildert Jürgen Resch faktenreich und spannend seinen lebenslangen Kampf für die Umwelt und prangert zugleich die Profitgier von Politikerinnen und Politikern und Wirtschaftslobbyistinnen und -lobbisten an. Ein Buch, das trotz der ernüchternden Fakten Mut macht und zeigt: Mit beharrlichem Einsatz kann jede und jeder von uns die Dinge zum Bessern wenden.

Verstehen, wie sich die Welt verändert: Sachbücher zum Klimawandel

Das Bill-Gates-Problem

Wer rettet den Planeten? Jedenfalls nicht die Superreichen, glaubt Tim Schwab. Wer seine Hoffnungen auf philanthropische Multi-Milliardäre wie Bill Gates setzt, begeht einen fatalen Irrtum, so der Autor. Er hat sich durch brisante Dokumente gearbeitet und Insiderinnen und Insider befragt. In seinem Buch Das Bill-Gates-Problem legt er minutiös dar, dass der Tech-Milliardär nicht nur finanziellen Nutzen aus seiner „Bill & Melinda Gates Foundation“ zieht. Er nimmt durch sie auch Einfluss auf politische Entscheidungen – und das in undemokratischer Art und Weise.

Für Tim Schwab ist Bill Gates ein Parade-Beispiel dafür, wie Superreiche ihr Vermögen nutzen, um Politik zu machen. Dadurch aber werden demokratische Prozesse und Institutionen ausgehöhlt. Ein augenöffnender Insider-Bericht, der den Mythos vom wohltätigen Milliardär gekonnt pulverisiert.

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