Mit Blümchen, Sekt und Schokolade hat der „internationale Frauenkampftag“ – so heißt er richtig – nichts zu tun. Tatsächlich hatten die Frauen, die am 8. März 1911 weltweit auf die Straße gingen, viel elementarere Forderungen: Sie verlangen das Frauenwahlrecht, Frieden und Brot. Es waren vor allem wütende Russinnen, die vor mehr als hundert Jahren gegen Krieg und Unterdrückung auf die Straße gingen und damit schließlich die Februarrevolution auslösten, die den Zar stürzte.
Vielleicht hat die russische Journalistin Marina Owsjannikowa an diese wütenden Frauen gedacht, als sie sich mit einem „No war!“-Plakat in die Nachrichtensendung des russischen Staatsfernsehens schob. Wohlwissend, dass sie damit ihre Freiheit und möglicherweise ihr Leben riskiert. Über ihren mutigen Schritt hat sie ein inspirierendes Buch geschrieben: "Zwischen Gut und Böse. Wie ich mich endlich der Kreml-Propaganda entgegenstellte."
Auch Interessant: Aktivistinnen, die die Welt verändern.
Weibliche Wut kann Dinge ins Rollen bringen - das haben wir in den letzten Jahren gelernt. Nachdem es in den Neunziger und Nullerjahren zwischenzeitlich so aussah, als sei die kollektive weibliche Wut verraucht, ist sie seit Anfang der Zehnerjahre präsenter denn je. Bevor die Corona-Pandemie der öffentlich geäußerten Wut vorübergehend den Saft abdrehte, sah man sie plötzlich überall: Frauen, die stinkwütend waren und das in aller Öffentlichkeit lautstark kundtaten.
Das Jahrzehnt der wütenden Frauen
2011 demonstrierten Frauen weltweit auf sogenannten "Slutwalks" gegen sexualisierte Gewalt und "Victim blaming" – also die perfide Unterstellung, eine Frau in knapper Kleidung trüge eine Mitschuld, wenn sie belästigt oder vergewaltigt wird. 2012 stürmten Aktivistinnen von "Pussy Riot" die Christ-Erlöser-Kirche in Moskau, um gegen Kirche, Patriarchat und Putin zu protestieren. Bekleidet mit rosafarbenen "Pussyhats" zogen Frauen 2017 beim "Women’s march" durch die Straßen und skandierten "Not my president!" Besonders heftig rebellierten indische Frauen 2012 und Ende 2019. Zu Tausenden zogen sie durch die Straßen und forderten besseren Schutz vor Misshandlung und Missbrauch.
Seit September 2022 reißen die Proteste im Iran nicht ab. Auslöser war der Tod von Jina Mahsa Amini, die von der islamischen Sittenpolizei festgenommen und so misshandelt wurde, dass sie starb. Ihr "Verbrechen"? Einige Haarsträhnen hatten unter ihrem Kopftuch hervorgelugt.
Auch im Netz bricht sich die weibliche Wut Bahn. Eine Raute und fünf Buchstaben – #MeToo – rollen seit 2017 wie eine Lawine durch die sozialen Netzwerke. Losgetreten wurde die Bewegung durch die Schauspielerin Alyssa Milano, die dazu aufforderte, das von der Aktivistin Tarana Burke erfundene Kürzel zu nutzen, um das ganze Ausmaß sexueller Übergriffe auf Frauen sichtbar zu machen.
Unter dem Hashtag #Coronaeltern machten im Lockdown vor allem Frauen ihrem Ärger darüber Luft, dass sie auf einmal Job, Homeschooling und Kinderbetreuung gleichzeitig wuppen sollten. Als gäbe es nicht auch ohne Pandemie schon genügend Gründe für Frauen, die Nerven zu verlieren. (Gender Pay Gap. Gender Care Gap. Mansplaining. You name it.)
Haben all diese wütenden Frauen etwas bewirkt? Mit Sicherheit. Der ehemalige Filmproduzent Harvey Weinstein sitzt im Gefängnis – er wurde zu einer 23-jährigen Haftstrafe verurteilt. Es ist ein Urteil mit enormer Signalkraft, das die ganze Branche wachgerüttelt hat. Weitere Prominente, die ihre Machtposition ausgenutzt hatten, mussten ihre Posten räumen oder wurden angeklagt. In Schweden und Deutschland wurde das Sexualstrafrecht reformiert.
Greta Thunberg trat mit ihrem wöchentlichen Sitzstreik im Alleingang die Bewegung „Fridays for Future“ los, die schließlich dafür sorgte, dass die meisten Parteien ihre Wahlprogramme eilig um Punkte zum Klimaschutz ergänzten. „Keine Revolution ohne Wut“ war auf den Plakaten der demonstrierenden Teenager zu lesen. Und die deutschen Corona-Mütter erreichten, dass in vielen Bundesländern Konzepte entwickelt wurden, damit die Schulen trotz steigender Inzidenz offenbleiben konnten.
Wütende Frauen, die Geschichte schrieben
Damit reihen sich diese teils berühmten, teils unbekannten Frauen ein in einen imaginären Protestzug, der die Welt zum Besseren verändert hat. Wobei auch Frauen bei der Wahl der Mittel nicht immer so friedlich blieben, wie es ihrem Geschlecht dem Klischee nach gebührt.
Um die Jahrhundertwende herum erstritten Frauen weltweit das Frauenwahlrecht – nach einem jahrzehntelangen Kampf, der weitestgehend mit friedlichen Mitteln geführt wurde. Allerdings nicht nur: Die Suffragetten der britischen „Women Social and Political Union“ radikalisierten sich um das Jahr 1903 herum. Unter dem Motto „Taten statt Worte“ ketteten sie sich an Zäunen fest, warfen Schaufenster ein, sprengten Briefkästen in die Luft oder zündeten leerstehende Gebäude an.
Rosa Parks hatte es 1955 einfach satt, dass sie als Schwarze ihren Sitzplatz im Bus für einen Weißen räumen sollte: Sie blieb sitzen. Doch trotz ihrer stummen Weigerung, die schließlich die schwarze Bürgerrechtsbewegung auslöste, war Parks keine leise Frau – im Gegenteil. Schon als Zehnjährige soll sie sich gegen den Angriff eines weißen Jungen gewehrt haben, in dem sie ihn mit einem Ziegelstein bedrohte. Bis ins hohe Alter hinein setze Parks sich couragiert gegen Ausgrenzung und Rassismus ein.
Natürlich ist nicht jede wütende Frau automatisch eine bewundernswerte Kämpferin für Gleichheit und Gerechtigkeit. Es gibt auch unter den wütenden Frauen Beispiele, die verstören. So wie die radikale Feministin Valerie Solanas, die in den späten 1960er Jahren ein Pamphlet gegen das Patriarchat verfasste, in dem kein einziges versöhnliches Wort mehr fällt. Sie plädierte dafür, dass Männer „unauffällig, schnell und schmerzlos vergast“ werden sollten:
"Das Leben in dieser Gesellschaft ist ein einziger Stumpfsinn, kein Aspekt der Gesellschaft vermag die Frau zu interessieren, daher bleibt den aufgeklärten, verantwortungsbewussten und abenteuerlustigen Frauen nichts anderes übrig, als die Regierung zu stürzen, das Geldsystem abzuschaffen, die umfassende Automation einzuführen und das männliche Geschlecht zu vernichten."
- Valerie Solanas
Kurz darauf schoss sie auf Andy Warhol, der das Attentat nur dank einer schnellen Operation überlebte.
Doch in der Summe kann man festhalten: Wenn die Welt sich zum Besseren verändern soll, dann braucht es die weibliche Wut. Das ist auch das Fazit der Feministin Rebecca Traister. In ihrem Buch Good and Mad. How Women's Anger Is Reshaping America schildert sie die Geschichte der weiblichen Wut als Treibstoff für den Kampf um politische Teilhabe.
Dabei legt sie ihr Augenmerk darauf, wie weibliche Wut bis heute systematisch karikiert und delegitimiert wird, um Frauen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Um so mehr, wenn es sich um schwarze Frauen handelt. Wie diesen das Klischee der „angry black woman“ übergestülpt wird, um berechtigten Protest ins Lächerliche zu ziehen, schildert die schwarze Feministin Brittney Cooper mit scharfzüngigem Witz in ihrem Buch Eloquent Rage. A Black Feminist Discovers Her Superpower.
Ob eine Frau mit ihrer Wut wahr- und ernstgenommen wird, hängt von ihrem gesellschaftlichen Status ab, bemerkt auch die Politikwissenschaftlerin Antje Schrupp im Audible Original Podcast Die Wut in mir: „Wütende Menschen mit Macht machen Angst. Wütende Menschen ohne Macht sind lächerlich“. Wobei viele machtlose, wütende Menschen sich gemeinsam durchaus Gehör verschaffen können, wie die aktuellen und historischen Beispiele zeigen.
Weibliche Wut in Romanen
Es ist ein Sonntag im Juli, und vor dem örtlichen Krankenhaus liegen Frauen in stillem Protest regungslos auf der Straße. Hier treffen sich die Influencerin Elin, Nuri, der die Schule abgebrochen hat, und die fünfzigjährige Pflegefachkraft Ruth. Eigentlich haben die drei fast nichts gemeinsam. Doch sie alle sind wütend, über unbezahlte Care-Arbeit, die Gender Pay Gap, schlechtere Karrierechancen. Was also passiert, wenn sie sich weigern, weiter an diesem System teilzuhaben? Wie sieht die Welt aus, wenn Frauen nicht mehr das tun, was sie immer getan haben?
Wie bereits in ihrem letzten Bestseller „Die Wut, die bleibt“ beschreibt Mareike Fallwickl in Und alle so still die kleinen und großen Auswirkungen des Patriarchats, aber vor allem auch die Macht, die Frauen haben, wenn sie sich dagegen solidarisieren.
Self-Silencing: Wie Frauen ihre Wut unterdrücken
Einer Frau, die wütend wird, droht Statusverlust. Auch deswegen kannte man von Angela Merkel keine Gefühlsregungen, die über ein Stirnrunzeln hinausgehen würden. Hillary Clinton rang sich im Fernsehduell mit Donald Trump selbst dann noch ein kühles Lächeln ab, als er ihr mit dem Zeigefinger fuchtelnd empfahl, sie solle „sich schämen“.
Was auf politischem Parkett eine sinnvolle Strategie sein mag, ist im Privaten selbstzerstörerisch. „Self-Silencing“ nennen Psychologen dieses erlernte Verhalten, mit dem Frauen Konflikte vermeiden. Um des lieben Friedens willen unterdrücken und verleugnen sie ihre negativen Gefühle. Nicht wenige Frauen kehren ihre Wut letztlich gegen sich selbst und werden depressiv.
Self-Silencing geht sogar so weit, dass viele Frauen gar nicht mehr wissen, was da eigentlich in ihnen gärt und brodelt. Über diese Blindheit den eigenen Gefühlen gegenüber hat die Emotionswissenschaftlerin Dr. Carlotta Welding ein faszinierendes Buch geschrieben. Doch diese Brave-Mädchen-Taktik nützt nur jenen, die den Status quo bewahren wollen. Darüber hinaus zahlen Frauen einen hohen individuellen Preis für die Unterdrückung ihrer Emotionen: Studien legen nahe, dass Self-Silencing das Risiko für einen Schlaganfall erhöht.
Höchste Zeit also, weibliche Wut als das zu begreifen, was sie ist: der Zündstoff für die Reise in eine bessere Zukunft.