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True Crimes: Märchen und ihre wahre Geschichten

True Crimes: Märchen und ihre wahre Geschichten

„Es war einmal ...“ – der Satz, mit dem so viele Märchen beginnen, ist eine sattsam bekannte Formel. Doch wir alle wissen seit Kindertagen: Das sind ja nur Märchen! Erfundene Geschichten, die uns lediglich vorgaukeln, sie hätten sich so einst, damals, vor langer, langer Zeit zugetragen. Aber ist das wirklich der Fall?

Sind es Erzählungen von Spinnweibern, erdichtet in gutbeheizten Stube und langen Winternächten? Und je länger der Faden und je dicker das gesponnene Knäuel wurde, desto länger und abenteuerlicher wurde auch die Geschichte?

Eben nicht. Abgesehen von Kunstmärchen, die sich Autoren wie Wilhelm Hauff, Hans Christian Andersen oder Wilhelm Tieck ausgedacht haben, beruhen viele Märchensammlungen auf regionalen Volkssagen. Und gerade Sagen ranken sich um historische Figuren, die nachweislich existiert haben. Ob sich die überlieferten Geschichten nun genau so oder ganz anders zugetragen haben, ist eine andere Frage. Um einst existierende Menschen haben sich mit der Zeit allegorische Geschichten gesponnen, aus der sich die eine oder andere nützliche Lehre für das Zusammenleben in einer Gesellschaft ziehen lässt.

Grimms Morde

Wie ist das also mit den Märchen? Gerade die Brüder Grimm waren ja als Märchensammler bekannt, nicht als Märchenautoren. Wer waren die Menschen, die all das erlebt haben? Das Verbrennen im eigenen Backofen, der in einem Haus aus lauter Lebkuchen steht? Wer war die Frau mit dem sagenhaft langen und starken Zopf, an dem ein Prinz einen Turm erklettern konnte? Eine Reise zurück in der Zeit zu den wahren Tatorten der Geschichte – und den echten Kriminalfällen, die sich hinter dem einen oder anderen bekannten Märchen verbergen.

Hänsel und Gretel

Der Gedanke, die eigenen Kinder im Wald auszusetzen klingt perfide. Aber ein leerer Vorratsschrank kann mitunter dazu führen, dass Menschen schwer nachvollziehbare Entscheidungen treffen. Die Backstory (liest sich: Bäckstory, nicht Backstory – obwohl, hmm ...) von "Hänsel und Gretel" könnte auf den sogenannten „Großen Hunger“ der Jahre 1315 bis 1317 zurückgehen.

Lange Winter und Überschwemmungen führten zu Ernteausfällen in Verbindung mit grassierenden Tierseuchen – und in der Folge zu mehreren Millionen Toten in Europa. Ganze Dörfer sollen ausgestorben sein. Um zu überleben, wurden nicht nur verseuchte Tierkadaver gegessen, es soll vereinzelt zu Fällen von Kannibalismus gekommen sein. Und ja, auch Kinder wurden zurückgelassen, um weniger Mäuler mit dem wenigen noch Vorhandenen stopfen zu können.

Theodor Hosemann – Haensel und Gretel

Die Geschichte mit der Hexe geht angeblich auf eine beispiellose Verleumdung aus Habgier zurück. Nicht selten wurden Konkurrentinnen und Konkurrenten zur Zeit der Inquisition durch die Behauptung aus dem Feld geräumt, sie beschäftigten sich mit den Schwarzen Künsten. So soll die Hexe in der überlieferten Erzählung über "Hänsel und Gretel" nach dem Vorbild einer Lebkuchenbäckerin aus Wernigerode im Harz zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges modelliert worden sein.

Das sagenumwobene Lebkuchenrezept der Katharina Schraderin, das sie unter dubiosen Umständen aus einem geheimen Rezeptbuch des Abts von Quedlinburg an sich gebracht haben soll, lockte Kunden und Kundinnen von Nah und Fern. Ihr Geschäft boomte, wie man heute sagen würde. Sehr zum Missfallen ihres Konkurrenten, Hans Metzler, seines Zeichens herzoglicher Hofbäcker in Nürnberg. Nur zu gerne hätte er das märchenhafte Rezept an sich gebracht. So beschuldigte er Katharina der Hexerei. Sie wurde aus der Stadt gejagt und fand Zuflucht im Spessart. Dort wurde sie von Hans und seiner Schwester Grete noch im selben Jahr aufgespürt, erwürgt und in einem ihrer vier Öfen verbrannt. Das Rezept hätten sie jedoch nie gefunden. Ein Lehrer namens Georg Ossegg habe im Jahr 1962 historische und archäologische Beweise für diesen Vorgang entdeckt – und auch das Rezept.

Diese Fama gehört allerdings genauso ins Reich der Sagen und Märchen wie Hänsel und Gretel selbst: Es ist eine dieser modernen urbanen Mythen, die sich hartnäckig halten, Fake News sozusagen, ungefähr so echt wie die Hitler-Tagebücher aus der Feder von Konrad Kujau. Erdichtet hat diesen Hoax der Satiriker und Karikaturist Hans Traxler. Und nicht wenige sind mit fliegenden Fahnen darauf hereingefallen. Böse!

Dunkelgrimm
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Der Rattenfänger

Um einen besonders heimtückischen Fall von Kindesentführung geht es in der Sage vom Rattenfänger. Laut der Brüder Grimm trug sich die Sache ungefähr so zu: Ein buntgewandeter Mann befreite die Hamelner Bürger im Jahr 1284 mit Hilfe einer Zauberflöte von einer lästigen Rattenplage. Anstatt sich erkenntlich zu zeigen, prellten die Hamelner ihn um seinen Lohn. Die Rache des Rattenfängers war grausam. Mit seinem Flötenspiel lockte er 130 Kinder aus der Stadt fort – und verschwand mit ihnen auf Nimmerwiedersehen.

So fantastisch das klingt: Forscher sind sicher, dass die gruselige Kinderraub-Story einen wahren Kern hat. Es kursieren mindestens vier verschiedene Theorien über den historischen Hintergrund der Rattenfänger-Sage. Waren die Kinder junge Wilde, die ausgelassene heidnische Feste feierten und deswegen von strenggläubigen Grafen ermordet wurden? Fielen sie einem Krieg, einem Kinderkreuzzug oder einem Schiffsunglück zum Opfer? Darüber streitet die Wissenschaft. Solange die Frage nicht geklärt ist, inspiriert der Stoff Autoren weltweit zu eigenen Versionen. Zuletzt den britischen Autor Anthony Khaseria, der sich vom Rattenfänger zu einem cleveren Mysterythriller inspirieren ließ.

Der Rattenfänger - Staffel 1
Der Rattenfänger - Staffel 2

Schneewittchen

Den historischen Ursprung für die Schneewittchen-Geschichte beanspruchen nicht weniger als vier deutsche Regionen für sich. Die wahrscheinlichste und irgendwie auch gruseligste Ursprungsgeschichte ist die der Margaretha von Waldeck. Waldeck liegt bei Kassel. Und bekanntermaßen haben die Brüder Grimm gerade in der Kasseler Gegend viele Märchen gefunden und aufgeschrieben, denn in Kassel gingen sie nicht nur zur Schule, sondern lebten dort längere Zeit und immer mal wieder.

Wir bewegen uns etwa Mitte des 16. Jahrhunderts: Die schöne Margaretha, Tochter des Grafen von Waldeck, war für ihren Liebreiz weithin bekannt. Doch litt sie unter der Strenge ihrer Stiefmutter. Mit 16 Jahren wurde sie nach Brabant gesandt – also ins heutige Brüssel – um einen Prinzen zu heiraten. Auf dem Weg dorthin musste sie über das Siebengebirge reisen.

Doch die junge Grafentochter brachte einiges an Wirren an den Kaiserhof. Denn wegen ihrer Schönheit lechzten hochrangige Persönlichkeiten wie Graf Egmont und der spätere Thronfolger Philipp II. nach ihrer Gunst. Ohne erkennbare Ursache verschlechterte sich ihre Gesundheit plötzlich und sie starb 1554 im zarten Alter von 21 Jahren. Die Heimatchronik von Waldeck führt aus, dass sie vergiftet worden sei. Das erscheint auch vor dem Hintergrund plausibel, dass ihr Testament in außerordentlich zittriger Schrift verfasst ist.

Ohne Zweifel war das eine Wirkung des unter dem Spitznamen „Erbgift“ bekannten Arseniks. Seit der Antike war es als Mordgift bekannt. Beliebt daran war vor allem, dass es bei richtiger Dosierung jahrhundertelang chemisch nicht nachweisbar war. (Also, falls jetzt jemand mit dem Gedanken spielt: Heute stehen der Wissenschaft natürlich ganz andere Nachweismöglichkeiten zur Verfügung, also lieber Finger weg!) Ob sie nun durch die Hand einer Konkurrentin oder eines Verehrers starb, der sie seinem Widersacher nicht gönnte, nun, darüber breitet sich bis heute der gläserne Deckel des Schweigens.

Nur am Rande: Margaretha war blond. Das tut der Mär aber wirklich keinen Abbruch, denn in den frühen Fassungen der Erzählung von „Schneewittchen“ und ihren sieben kleinen Freunden war ihr Haar nämlich nicht „schwarz wie Ebenholz“, sondern „gelb“, also quasi „gelb wie Stroh“. So schnell wird aus einer Blondine also ein Goth – und das ganz ohne schwarze Seele.

Asche, Schnee und Blut

Rapunzel

Die "Rapunzel"-Erzählung scheint regelrecht an den Haaren herbeigezogen. Sie hat jedoch vermutlich schon vorchristliche Wurzeln, so dass ein eventuell vorhandener historischer Bezug heute schon nicht mehr nachweisbar ist. Der antike Mythos um Danaë könnte eine dieser Quellen sein. Aber auch die Geschichte der christlichen Figur der heiligen Barbara findet sich in Teilen im Märchen um die Langhaarige im Turm wieder. Ihr Gedenktag, der Barbaratag, wird traditionell am 4. Dezember begangen. Sie gilt als Schutzpatronin vor Blitzeinschlag – und später auch im Bergbau als Schutz vor Sprengunfällen. Vermutlich, weil die Blitzen so ähnlich waren, nur dann halt unterirdisch.

Die Barbaralegende fußt auf der historischen Figur der „Barbara von Nikomedien“. Auch hier haben wir es wieder mit einer außerordentlich schönen Frau zu tun, ausnahmsweise war diese aber auch mit Intelligenz gesegnet. Sie hatte nämlich überhaupt keine Lust, einen ihrer vielen Verehrer zu heiraten, die wie üblich nur auf ihr Aussehen abstellten.

Ihr Vater, ein gewisser Herr Dioscuros, sperrte sie in einen zu diesem Zweck erbauten Turm, eben um sie vor diesen ganzen Verehrern zu schützen. (Die genauen Motive des Vaters sind dabei irgendwie unklar, aber vielleicht wollte er sie einfach für sich behalten.) Das war überzogene Liebesmüh, denn die schöne Barbara hatte ihren eigenen Kopf, ließ sich hinter dem Rücken ihres Vaters taufen und schwor der Liebe und Ehe völlig ab – viel lieber wollte sie den Rest ihres Lebens in intellektueller Einsamkeit und Keuschheit und mit dem christlichen Gott verbringen, dem sie Treue gelobt hatte.

Der erboste Vater will sie daraufhin natürlich umbringen, weil er ein Heide ist, so sind die eben, die Heiden (zumindest aus Sicht der Christen mittelalterlicher Prägung, aber die haben ja auch Hexen verbrannt). Es tut sich erst mal ein Fels auf, dann wird sie wieder von Hirten verraten, die Geschichte entwickelt sich ziemlich komplex. Sie wird aber zu guter Letzt eben zum Tode verurteilt, vorher aber noch vom Richter persönlich gefoltert und dann schließlich von ihrem Vater höchstderoselbst enthauptet. Der daraufhin vom Blitz getroffen wird und stirbt – deswegen die Sache mit der Schutzheiligen. Wie man sich das jetzt zusammenreimen soll, ist eine andere Frage. Denn Barbara war ja schon tot und der Vater ja dann auch. Also genützt hat der Blitz irgendwie niemandem. Aber so geht sie halt, die Legende.

Wer hat Angst vorm bösen Wolf?

Blaubart

Eines der grausamsten und unheimlichsten Märchen der Brüder Grimm, die Geschichte um „Blaubart“ und seine ermordeten Exfrauen, geht auf zwei nicht weniger gruselige und grausame historische Figuren zurück. Und ausnahmsweise spielt hierbei die Schönheit irgendwelcher Frauen überhaupt keine Rolle.

Das Schöne an diesem Märchen ist, dass es ein Happy Ending für zumindest eine dieser Ehefrauen gibt, die sich durch List und Klugheit aus ihrem Elend befreit. Das wiederum hat nichts mit den beiden historischen Vorbildern zu tun. Der eine ist im deutschen Sprachraum weniger bekannt, Konomor oder „Conomor the Cursed“. Ein bretonischer Graf, der nicht nur unzählige Ehefrauen, Kinder, Stiefkinder und wer weiß, wen sonst noch so auf dem Gewissen hat, nein! – er ist auch Vorbild für König Marke von Cornwall, den Onkel von Tristan. Also dem unglücklichen Tristan aus der irischen Sage, der aus Wagners „Tristan und Isolde“ bekannt ist. Und Conomor soll eben den wohl auch auf dem Gewissen haben.

Kohlrabenschwarz

Aber um dessen Geschichte soll es hier gar nicht gehen, die ist nämlich viel zu verwickelt und verwinkelt. Sondern um die von Gilles de Rais. Dessen Geschichte macht nämlich einen tollen Bogen zurück zur Handlung der neuen Audible Original Hörspielserie Kohlrabenschwarz. In der Serie kommt es in rasender Schnelligkeit zur Entführung diverser ungezogener Kinder und Jugendlicher – und in Nullkommanix landen diese auf dem Speiseplan eines üblen schwarzgewandeten Bösewichts.

Allein, da hört die Parallele auf, bei den Kindern. Denn von schwarzen Klamotten steht nichts in den Geschichtsbüchern. Graf Gilles de Montmorency-Laval, Baron de Rais wurde um 1405 in Frankreich geboren, bei Angers. Seine Lebensgeschichte ist wohl eine der Erstaunlichsten um einen besonders hohen Aufstieg und besonders tiefen Fall. Gilles de Rais war ein gefeierter Heerführer im Hundertjährigen Krieg, ein Kampfgefährte Jeanne D’Arcs. Alchimist. Und der größte Serienkiller in der Geschichte nicht nur Frankreichs, sondern – überhaupt.

In sein Leben startete Gilles als einer der reichsten Männer Frankreichs. Nach dem Tod Jeanne d’Arcs auf dem Scheiterhaufen widmete er sich den schönen Künsten. Er pflegte selbst zahlreiche Talente, war im Zeichnen nicht unbegabt und engagierte sich leidenschaftlich für das Theater. Außerdem zahlte er Unsummen für einen gewaltigen Hofstaat, der ihn bei seinen Vergnügungen nach Kräften unterstützte.

Nur waren seine Mittel dann eben doch nicht unerschöpflich. Nach und nach musste er Ländereien und Besitz verkaufen, um seinen großspurigen Lebensstil aufrechtzuerhalten. Und da das alles nur ein Tropfen auf dem heißen Stein war, wandte er sich der Alchimie zu. Das kostete natürlich auch wieder, Geisterbeschwörer wollen ja auch leben. Und dann die ganzen kirchlichen Messen, die er in seinem Namen ausrichten ließ, um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Denn das Ding mit der Alchimie war im Sinne der Bibel ja auch nicht ganz koscher. Um es kurz zumachen: Um mithilfe der schwarzen Künste seinen Reichtum wiederzugewinnen, soll er mehr als 140 Kinder entführt, gefoltert und getötet haben.

Obwohl es im Prinzip wohl alle wussten, flog der fromme Mann jedoch erst auf, als er sich offen gegen einen Priester wandte. Das war der Kirche dann wohl doch zuviel des Guten, äh Bösen. Unter hochnotpeinlicher Befragung wurde ihm ein vollumfängliches Geständnis abgerungen und Gilles de Rais schließlich zusammen mit zwei seiner Komplizen im Oktober 1440 gehängt. Neben dem Tod Jeanne d’Arcs war der Prozess um den Serienkiller einer der berühmtesten und meistbeachteten der französischen Geschichte.

Auch wenn bis heute die Prozessakten in den Nationalbibliotheken von Paris und Nantes aufbewahrt werden, bleiben doch noch einige Fragen offen: zum Beispiel, welches Interesse Rais’ vermeintlicher best Buddy und Waffenbruder Herzog Johann VI. an seinem Tod hatte. Wurde hier unter Umständen eine Geschichte vorgeschoben, um wirtschaftliche Vorteile zu erlangen – ganz genau so wie bei Hans und Grete, denen es um die Lebkuchenrezeptur der Schraderin ging? (Ach nee, die war ja wirklich erfunden, die Geschichte ...) Oder warum der berüchtigte Nekromant Francesco Prelati so völlig ungeschoren mit dem Leben davonkam (wie so einige andere Mittäter auch)? Übrigens wird gemunkelt, dass Letzterer ein Liebhaber Gilles de Rais gewesen sein soll. Was aus ihm wurde, wann er starb: Es wird wohl auch dieser Teil der Geschichte für immer im Dunkeln bleiben. Im Dunkel der finstersten schwarzen Magie eines Mannes, der behauptete, die Toten beschwören zu können. Denn wenn er nicht gestorben ist, dann lebt er wohl noch heute!

Die Geisterseher

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Disclaimer: Dieser Beitrag wurde zu weiten Teilen mit Hilfe von Wikipedia recherchiert, der Enzyklopädie des freien Wissens. Für den Wahrheitsgehalt dieser oder jener Überlieferung übernimmt die Autorin keinerlei Gewähr.

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