Mit ihrem Podcast „Sag niemals Nietzsche“ wollten Samira El Ouassil und Christiane Stenger die Podcast-Landschaft aufmischen – das ist ihnen gelungen. Sie wurden dafür sogar ausgezeichnet. Wir haben mit den beiden über Philosophie, gute Podcasts und negative Kommentare gesprochen.
Was habt ihr gegen Nietzsche?
Christiane: Wirklich gar nichts. Mit Nietzsche kann man die Welt erklären und gleichzeitig das Gegenteil davon behaupten. Nietzsche kann die Antwort auf alles sein und gleichzeitig das Gegenteil davon. Er liefert Zitate für jede Lebenslage, für die großen und kleinen Probleme, aber damit macht man es sich oft zu leicht.
Samira: Das könnte man jetzt antworten. Aber eigentlich brauchten wir nur einen guten Titel.
Könnt ihr mir kurz das Prinzip eures Podcasts erklären?
Christiane: Gern. Wir ziehen zwei Begriffe. Ein Wort stammt aus dem philosophischen Bereich beziehungsweise aus dem Abstrakten und das andere ist ein Gegenstand oder ein Thema, das aus der gewöhnlichen Realität kommt und alltäglicher ist.
Samira: Diese beiden Begriffe lassen wir aufeinander los und formulieren eine Frage, die diese beiden Wörter auf irgendeine Weise zusammenbringt. Zum Beispiel wird aus Farbe und Humor die Frage: Können Farben lustig sein?
Christiane ist Gedächtnistrainerin, Moderatorin und Autorin; Samira Schauspielerin und Autorin. Wie seid ihr beide zum Podcast gekommen?
Christiane: Wir hatten beide Lust dazu und die Idee ist mehr oder weniger bei einem Kinobesuch entstanden und bei einem Abend mit Freunden ausgereift. Und dann haben wir einfach losgelegt.
Samira: Zu den Zeitpunkt hatten wir auch den Eindruck, dass viele „zwei Typen reden eine Stunde, nehmen das auf und das ist die Folge“-Podcasts am Start waren und wir dachten, dass auch einfach mehr weibliche Stimmen in dieser neuen Form auftauchen sollten. Das hat sich inzwischen übrigens erfreulich geändert, es gibt jetzt so viele großartige Podcasts von Frauen. Siehe auch den Text von Medienwissenschaftlerin Nele Heise „Das Beste, was Podcasts passieren konnte”, die die Podcast-Landschaft wissenschaftlich auswertet. Ihre Antwort ist, Spoiler: Frauen.
Und warum wurde es gerade ein Podcast über Philosophie? Das ist ja eigentlich kein Thema, mit dem man sich einfach mal so beschäftigt …
Christiane: Philosophie hat mich ehrlicherweise immer schon wahnsinnig fasziniert und mit neun Jahren habe ich Sofies Welt von Jostein Gaarder zu lesen begonnen. Und ich muss zugeben, ich fand es wahnsinnig konstruiert und anstrengend, auf immer neue Briefe in dem Buch zu warten, aber wahrscheinlich war ich auch einfach noch ein wenig zu jung. Später hatte ich das Glück, Philosophie in der Schule als Fach wählen zu können, und im Politikstudium ist sie mir wiederbegegnet. Kurz hab ich sogar ein Philosophiestudium begonnen, das jedoch durch Arbeit unterbrochen wurde, und da dachte ich mir: Okay, dann muss jetzt die Philosophie zu meiner Arbeit hinzukommen. So haben wir am Ende, dank Samira, doch wieder zusammengefunden.
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Samira: Bei mir war das ähnlich! Ich war in einer französischen Schule, wo wir schon früh Voltaire, Rousseau und Derrida durchnahmen, was meine Begeisterung prägte, dann hatte ich während meines Studiums ein wenig Medienphilosophie, aber meinem Gefühl nach viel zu wenig und wollte dann nach dem ersten Master in Kommunikationswissenschaft noch einen zweiten in Philosophie ranhängen, den konnte ich aber krankheitsbedingt nicht abschließen.
Ihr zieht immer zwei zufällige Begriffe, mit denen ihr euch in einer Folge beschäftigt. Wie geht ihr bei der Vorbereitung für ein neues Thema vor?
Christiane: Erst einmal wartet da ein ganzer Haufen Recherche. Das ist aber der spannende Teil, denn wir lieben es, Neues zu entdecken und Information auf ungewöhnliche Art zu kombinieren. Und so fügen sich die Begriffe mit der Zeit zusammen. Manchmal ist es geradezu absurd, wie gut Begriffe zusammen passen.
Samira: Man verschafft sich einen Überblick, legt eine Stoffsammlung an und sichtet dann sehr viel, bis sich interessante Schwerpunkte rausschälen, die erlauben die beiden Begriffe miteinander zu verknüpfen. Manchmal fangen wir bei null an, und es fühlt sich an wie eine Flut, manchmal können wir auf theoretisches Wissen zurückgreifen, dann ist es wie stundenlanges Kraulen, aber in bekannten Gewässern. Unser Rettungsring ist immer die Neugier und das unermüdliche Interesse an, naja, allem.
Gab es auch schon Kombinationen von Begriffen oder einzelne Begriffe, bei denen euch die Vorbereitung richtig, richtig schwergefallen ist?
Christiane: Ja. Bei „Algorithmus und Freiheit“ sind wir fast an unsere Grenzen gestoßen. Irgendwie steckten wir da in einer Sackgasse. Manchmal ist das wie eine Blockade, die man überwinden muss. Wir haben es dann eine Zeit ruhen lassen und mit Freunden über das Thema gesprochen, und jetzt ist es eine sehr schöne Folge.
Samira: Manchmal dachte man aber auch, dass es einfach unmöglich ist die beiden zusammenzubringen. Bei „Tod und Kabel“ fand ich das auch echt schwer – und am Ende ergab es total Sinn.
Euer Podcast war im vergangenen Jahr für einen Lead-Award nominiert. Was hat die Nominierung für euch bedeutet?
Christiane: Wir waren zu Beginn eigentlich geschockt vor Unglauben und zugleich überglücklich. Das war wirklich eine ganz besondere Auszeichnung, über die wir uns immer noch riesig freuen. Vielleicht auch, weil sich durch den Podcast wieder mehr Hörer für Philosophie interessieren, was in Zeiten des Klimawandels möglicherweise gar nicht so schlecht ist. Im Großen und Ganzen geht es ja in der Philosophie auch immer um die Frage: Wie kommen wir mit dem Leben klar? Camus hilft mir da durch manch dunkle Stunde.
Samira: Es war auch einfach eine Riesenehre, mit so Podcast-Schwergewichten wie dem Zeit-Verbrechen Podcast, sowie auch von der Zeit „Alles gesagt“ und „Paardiologie“ mit Charlotte Roche und ihrem Mann Martin Keß auf einer Shortlist zu stehen. Mein Lead-Award hängt jetzt bei meinem Vater im Wohnzimmer.
Neben positivem Feedback wie diesem gibt es sicher auch Negatives. Lest ihr euch das durch? Wie geht ihr damit um?
Christiane: Am Anfang war es sogar richtig schwierig für mich mit negativem Feedback. Nach der ersten Folge dachte ich: Okay, das war‘s, lassen wir es besser sein. Anstatt uns zu vertrauen. Mittlerweile lese ich negatives Feedback mit Vergnügen und am Ende kann man ja immer etwas Positives daraus ziehen, selbst wenn man es sich dann selbst konstruiert.
Samira: Ich bin das gewohnt, bei Facebook und Twitter schreiben einem anonyme Nutzer die fiesesten Sachen. Beim negativen Feedback fand ich aber die Haltung lustig: Was maßen sich die beiden jungen Fräuleins da an, einem was über Philosophie erklären zu wollen?
Podcasts erleben seit einiger Zeit einen regelrechten Boom. Was meint ihr: Woran liegt es, dass die so beliebt sind?
Christiane: Man ist ganz nah an einer Person dran. Das ist eine super intime Situation und, anders als im Radio und im Fernsehen, wo einem Gast meist nur ein paar Minuten zur Verfügung stehen, hat man beim Podcast vor allem eins – nämlich Zeit. Als Hörer baut man auch eine ganz andere Verbindung auf, als ob man einem Gespräch lauscht. Zugleich fällt das Visuelle weg und man kann sich ganz auf einen Sinn konzentrieren.
Samira: Ja, es ist ein Blick durchs Schlüsselloch, aber für die Ohren. Man hat seinen Lieblings-Podcast, die Stimme, zu der man eine Beziehung aufgebaut hat, durch die Non-Linearität der Verfügbarkeit in jeder Situation dabei – beim Sport, vorm Einschlafen, während des Kochens, in der Bahn. Und auch aufgrund der Non-Linearität der Hörbarkeit, dass man für sich bestimmt, wann und wo man hört, fühlt man sich nicht als Teil eines großen Publikums, die alle gleichzeitig mit dir zum Beispiel die Sportberichterstattung im Radio lauschen. Es sind nur du, die Stimme und die Geschichte.
Was macht für euch einen guten Podcast aus?
Christiane: Ich möchte Dinge erfahren, die ich noch nicht weiß oder über die ich mir noch nie Gedanken gemacht habe.
Samira: Grundsätzlich: Hat der Podcast einen informationellen oder emotionalen Mehrwert für mich? Füttert es Hirn und/ oder hilft es mir bei der Herzensbildung? Aber „gut“ ist dann nach Genre auch nochmal unterschiedlich zu bewerten. Unterhaltungs-Podcasts empfinde ich als gelungen, wenn sie mich zum Lachen bringen, aber sie müssen zum Beispiel nicht nervenzerreibend spannend sein. Ein True-Crime-Format hingegen gilt als gut gemacht, wenn eine spannende Dramaturgie effizient im Medium genutzt wurde. Das wäre aber wiederum bei einem Meditations-Podcast ja eher suboptimal.
Welche Podcasts hört ihr selbst gerne?
Christiane: „The Elephant“. Hier werden Lösungen für den Klimawandel vorgestellt. Und „Lage der Nation“. „Rasenfunk“ und den „Soziopod“ mag ich auch sehr.
Samira: „Lakonisch Elegant“ vom Deutschlandfunk.
Wann hört ihr vor allem Podcasts? Beim Putzen, beim Autofahren, zum Einschlafen …?
Samira: An der Bushaltestelle.
Christiane: Beim Puzzle legen und beim Kochen.
24 Folge sind gibt es mittlerweile von „Sag niemals Nietzsche“ und ihr habt euch mit den verschiedensten Themen auseinandergesetzt. Habt ihr eine Lieblingsfolge oder eine, die euch besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Christiane: Die Antwort ist ganz leicht. Ich habe einen klaren Favoriten. Besonders mag ich „Ungerechtigkeit und Buch“ und auch die letzte Folge. Aber die allererste Folge über Weltraum und Freundschaft ist auch toll. Nicht nur, weil es die erste ist. Und „Ideologie und Märchen“ ist fantastisch. „Metaphysik und Aktien“ ist natürlich auch phänomenal. Aber auch „Farbe und Humor“. Ach, eigentlich alle, weil sie auf ihre Weise so einzigartig sind.
Samira: Ich mag „Müll und Liebe“ am liebsten, aber bei „Farbe und Humor“ haben wir wirklich am meisten gelacht, da habe ich die Aufnahme in ausnehmend schöner Erinnerung.
Die Themen wählt ihr ja zufällig aus, aber wenn dem nicht so wäre: Was würdet ihr gerne einmal besprechen?
Samira: Das haben wir am Ende einfach ausnahmsweise schon gemacht. Nietzsche, das verbotene Wort, und Rückblick. Ansonsten wünsche ich mir „Thema“ als Thema.
Christiane: Gerade möchte ich einfach nur noch Klimawandel in den Topf werfen. Weil es so düster aussieht beziehungsweise andersrum. Es brennt überall. Aber vielleicht rettet uns das gerade noch.