Die Spannung war mit Händen zu greifen, als die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels Karin Schmidt-Fridrichs bei der Buchpreis-Gala am Abend des 14. Oktobers im Kaisersaal des Frankfurter Römers vors Mikrophon trat und verkündete: „Den Deutschen Buchpreis 2024 für den Roman des Jahres verleiht die Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins des deutschen Buchhandels an... Martina Hefter, ‚Hey, guten Morgen, wie geht es dir?‘
Die Nennung des Romantitels ging bereits im Applaus unter. Die Preisträgerin schreckte derweil sichtlich verblüfft hoch und brauchte erst mal ein paar Sekunden, um fassen zu können, was sie da gerade gehört hatte. Mit der Verkündung endeten zwei Monate gespannten Wartens. Es hatte im August mit der 20 Titel umfassenden Longlist für den Deutschen Buchpreis 2024 begonnen und war am 17. September mit der Bekanntgabe der Shortlist aus sechs Titeln in die Endrunde gegangen.
Der Roman des Jahres 2024: "Hey guten Morgen, wie geht es dir?"
Dass Martina Hefter mit Hey guten Morgen, wie geht es dir? gewonnen hat, ist für Hörbuch-Fans gleichzeitig eine schlechte und eine gute Nachricht. Die schlechte: Das Buch liegt noch nicht als Hörbuch vor. Und die gute: Das ändert sich sehr bald. Am 5. November erscheint der Roman des Jahres als Audiofassung, eingelesen von Inka Löwendorf, die auch den Erfolgsbüchern von Anja Jonuleit mit ihrer frischen Stimme akustisches Leben einhaucht. Wer nicht so lange warten will, kann zur E-Book oder Print-Ausgabe greifen.
In Hey guten Morgen, wie geht es dir? wirft Martina Hefter einen gleichermaßen ungeschönten wie humorvollen Blick auf das Leben der Mittfünfzigerin Juno. Deren Alltag ist vom Spagat zwischen der Pflege ihres an Multipler Sklerose erkrankten Mannes und den Schwierigkeiten des Künstlerinnendaseins geprägt. Um sich abzulenken, chattet Juno nachts mit sogenannten Love Scammern, die Frauen in Online-Kontaktforen Liebe vorgaukeln mit dem Ziel, ihre Chat-Partnerinnen finanziell auszunehmen.
Doch Juno tritt nicht unbedarft in den Reigen der falschen Komplimente und kalkulierten Liebesschwüre ein. Weil auch sie online mit einem Decknamen unterwegs ist, wähnt sie sich ihren Chat-Partnern immer einen Schritt voraus. Dann gerät sie an Benu, der sie ebenso durchschaut wie sie ihn – der Beginn eines pikanten Kräftemessens zwischen Wahrheit und Lüge, falscher und echter Zuneigung, Komik und Nachdenklichkeit.
Der Kommentar der Jury und Martina Hefters Plädoyer für gesellschaftliche Vielfalt
Die Buchpreis-Jury begründete ihre Entscheidung für „Hey guten Morgen, wie geht es dir?" unter anderem so:
„Auf faszinierende Weise verbindet der Roman zermürbenden Alltag mit mythologischen Figuren und kosmischen Dimensionen, er navigiert zwischen Melancholie und Euphorie, reflektiert über Vertrauen und Täuschung.“
Martina Hefter selbst bekannte zu Beginn ihrer Dankesrede, sie sei von der Auszeichnung „wirklich, wirklich überwältigt" und freue sich riesig. Weiterhin dankte sie der Jury, für deren Vertrauen und betonte, dass der Roman und seine Buchpreis-Nominierung auch für sie selbst viele bereichernde Dialoge mit Lesenden eröffnet haben. Deshalb sei die Auszeichnung aus ihrer Sicht „ein Preis für die Leser*innen, ein Publikumspreis sozusagen, und das finde ich super und total schön."
Weiterhin verband Martina Hefter ihre Ansprache im Kaisersaal mit einem Plädoyer für Wachsamkeit und gesellschaftliche Vielfalt. Sie wolle keine politische Rede halten, aber betonen, dass die Arbeit an „Hey guten Morgen, wie geht es dir?" von Menschen begleitet wurde, die „nach dem Willen einer Partei, deren Namen ich heute echt nicht in den Mund nehmen möchte" nicht in die Mitte der Gesellschaft gehörten. Etwa von Menschen, die eine andere Hautfarbe oder eine Behinderung hätten oder sich keinem Geschlecht zugehörig fühlten. Deren Ausgrenzung habe Hefter in letzter Zeit als „ziemlich schrecklich" empfunden. Somit wolle sie die Gelegenheit nutzen, daran zu erinnern „dass wir wachsam sind und dass wir auch laut sein dürfen und einschreiten". Auch für diese Mahnung bedachte das Publikum die Autorin mit einem langen Applaus.
Deutscher Buchpreis: Über die Hintergründe der Auszeichnung
Der Börsenverein des deutschen Buchhandels hat den Deutschen Buchpreis im Jahr 2005 ins Leben gerufen, um Aufmerksamkeit für hochwertige deutschsprachige Literatur zu erregen und den Buchhandel zu stärken. Seither wird die Auszeichnung einmal jährlich zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse an ein herausragendes belletristisches Werk vergeben – in diesem Jahr zum zwanzigsten Mal. Der Preis gilt als Deutschlands wichtigste Auszeichnung für Romane. Alle Bücher, die ihn bis jetzt bekommen haben, wurden zu Bestsellern.
Deutscher Buchpreis: Die Romane des Jahres von 2005 bis 2023
Von den 19 Werken, die zwischen 2005 und 2023 als Romane des Jahres ausgezeichnet wurden, sind nur Katharina Hackers „Die Habenichtse" aus dem Jahr 2006 und Melinda Nadj Abonjis „Tauben fliegen auf" von 2010 nicht als Hörbücher erhältlich. Berücksichtigt werden beim deutschen Buchpreis aktuelle Romane, deren Original in deutscher Sprache verfasst wurde. Im letzten Jahr gewann der Österreicher Tonio Schachinger mit seinem humorvollen Gesellschaftsporträt „Echtzeitalter".
Spitzentitel: Erfahre mehr über „Echtzeitalter“ und weitere Buchpreis-Romane
Deutscher Buchpreis 2024: Die Jury und das Auswahlverfahren
Vom 6. Februar bis 20. März konnten Verlage Romane für den Deutschen Buchpreis einreichen. Bedingung für eine Teilnahme war, dass der jeweilige Titel zwischen Oktober 2023 und September 2024 erscheint. Die Jury, die vom Börsenverein jedes Jahr neu berufen wird, setzt sich 2024 aus sieben Expertinnen und Experten zusammen, die sich in der Literaturkritik, dem Buchhandel oder durch eigene Veröffentlichungen einen Namen gemacht haben.
Deutscher Buchpreis 2024: Die Jury
Jury-Vorsitz: Natascha Freundel, Literaturkritikerin und Podcasterin
Gerrit Bartels, Literaturredakteur und stellvertretender Kulturchef beim Tagesspiegel
Magda Birkmann, Buchhändlerin und Literaturvermittlerin
Torsten Hoffmann, Professor für Neuere deutsche Literatur und Präsident der Internationalen Rilke-Gesellschaft
Marianna Lieder, freie Kulturjournalistin
Regina Moths, Buchhändlerin
Klaus Nüchtern, Literaturkritiker und Publizist
197 Bücher hat die Jury in diesem Jahr für den Deutschen Buchpreis geprüft. Die sechs Shortlist-Titel zeichnen sich durch erzählerischen Erfindungsreichtum, gesellschaftlichen und historischen Weitblick sowie poetische Innovativität aus. Als Hörbuch ist bisher nur einer der nominierten Titel erschienen: Iris Wolffs Lichtungen.
Welches Buch zum Roman des Jahres geadelt wird, gibt die Jury bei einer Preisverleihung am 14. Oktober im Kaisersaal des Frankfurter Römers bekannt. Die Auszeichnung ist mit 25.000 Euro dotiert. Die fünf weiteren Shortlist-Titel bekommen jeweils eine Prämie in Höhe von 2.500 Euro.
Deutscher Buchpreis 2024: Entdecke die Shortlist
„Jedes Buch ist formal wie inhaltlich einzigartig", sagt Jury-Sprecherin Natascha Freundel über die sechs Titel der diesjährigen Endauswahl. „Für die Shortlist des deutschen Buchpreises 2024 haben wir Romane ausgewählt, die auf neue Weise Licht und Dunkel unserer jüngeren Geschichte erkunden, die auch erzählerisch Grenzen überwinden und dabei große literarische Abenteuer sind." Im Folgenden lernst du die nominierten Titel kennen und erfährst, was die Jury über sie sagt.
Hasenprosa von Maren Kames
„Punk, Punk, Punk“ steckt in diesem Buch, aber auch Billie Eilish, Glenn Gould und Prince. Anna Seghers-Preisträgerin Maren Kames verquickt in „Hasenprosa“ eine Alltagsflucht mit absurd-poetischen Reflektionen über Familie, Herkunft, Popkultur und die Unberechenbarkeit von Erinnerungen. Der Hase aus dem Titel sitzt dabei auf der Rückbank und kommentiert das Geschehen mal penibel, mal grotesk, aber stets mit ganz eigenem (Wort-)Witz.
Das sagt die Buchpreis-Jury über „Hasenprosa“
„Diese eigensinnige Reise nistet sich ein im Gemüt der Lesenden und lässt einen erheitert, alltagsertüchtigt und beglückt zurück.“
Die Projektoren von Clemens Meyer
Nachdem Clemens Meyer bereits 2013 mit „Im Stein“ die Shortlist zum Deutschen Buchpreis enterte, geht er mit seinem Ende August erschienenen Roman „Die Projektoren“ erneut ins Rennen. Ein „Epos über die Krisen Europas und die Kunst des Erzählens" verspricht der Verlag, und tatsächlich verbindet Meyer in dem Buch eine Vielzahl von Themen und Handlungssträngen zu einem literarischen Parforceritt, der siebzig Jahre europäischer Geschichte vom zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart greifbar macht.
Das sagt die Buchpreis-Jury über „Die Projektoren“
„Meyer zieht stilistisch viele Register, von großartigen Dialogen, inneren Monologen und Träumen bis hin zu Brüchen in Zeit und Raum. Kurzum: ein Literaturereignis.“
Vierundsiebzig von Ronya Othmann
In ihrem zweiten Roman ergründet Ronya Othmann den Völkermord an den Jesiden, bei dem im August 2014 in der irakischen Stadt Sindschar mehrere tausend Menschen durch den IS ermordet wurden. Der Buchtitel bezieht sich auf die Anzahl von Attacken, die die jesidische Gemeinschaft seit Beginn der Progrome verzeichnet hat. Die Autorin nähert sich mit dem Text auch der Familiengeschichte ihres Vaters an, der kurdisch-jesidische Wurzeln hat.
Das sagt die Buchpreis-Jury über „Vierundsiebzig“
„Ein einzigartiger dokumentarischer Roman über einen Genozid der Gegenwart und die Frage, wie man davon erzählen kann.“
Von Norden rollt ein Donner von Markus Thielemann
Nachdem sich Markus Thielemann schon in seinem Debüt „Zwischen den Kiefern“ an den Konflikten zwischen Natur und Fortschritt abgearbeitet hat, lässt er in seinem neuen Buch Wolf und Mensch aufeinanderprallen. Protagonist des Romans ist der 19-Jährige Schafhirte Jannis. Nachdem eine Reihe von Schafsrissen die Bauern der Lüneburger Heide zu immer gewaltsameren Vergeltungsmaßnahmen treibt, flieht Jannis in die Wälder – wo ihm eine mysteriöse Frau begegnet, die ihm die Augen über das Land seiner Herkunft öffnet.
Das sagt die Buchpreis-Jury über „Von Norden rollt ein Donner“
„Markus Thielemann hat einen atmosphärisch dichten und sprachlich kraftvollen Anti-Heimatroman geschrieben, in dem Archaik und Moderne aufeinandertreffen.“
Lichtungen von Iris Wolff
In ihrem fünften Roman beleuchtet Iris Wolff die von harten Umbrüchen und gewaltvoller Politik gezeichnete Geschichte Rumäniens im Spiegel einer lebenslangen Freundschaft. Auf diese Weise setzt sie sich auch mit ihrer eigenen rumänischen Herkunft auseinander. Lev und Kato freunden sich als Kinder im Siebenbürgen der Ceaușesco-Ära an, entfernen sich infolge der Umwälzungen durch die Öffnung des Eisernen Vorhangs aber voneinander. Als sie sich nach vielen Jahren wiedersehen, beginnt eine gemeinsame Reise, die ein Tor zu den Widersprüchen der Vergangenheit aufstößt.
Das sagt die Buchpreis-Jury über „Lichtungen“
„Mit großer Sensibilität und hoher Raffinesse wird diese Coming-of-Age-Story und Liebesgeschichte im Krebsgang erzählt.“
Deutscher Buchpreis 2024: Das war die Longlist
Die sechs Shortlist-Titel sind nur die Feinlese beim Buchpreis 2024. Für alle, die wissen wollen, welche Romane die Jury in diesem Jahr ebenfalls überzeugt haben, lohnt sich ein Blick auf die Longlist. Sie enthielt zwanzig Titel, von denen sieben auch als Hörbücher veröffentlicht wurden.
Deutscher Buchpreis 2024: Ausgewählte Longlist-Titel zum Hören
Weiterhin standen auf der Longlist:
Deutscher Buchpreis 2024: Große Literatur bei Audible entdecken
Die Wartezeit bis zur Verkündung des Romans des Jahres im Oktober muss nicht langweilig werden. In der Kategorie Deutscher Buchpreis findest du eine buchstäblich ausgezeichnete Auswahl an Titeln, die den Preis in den vergangenen Jahren bekommen haben. Das volle Programm gibt es bei Literatur und Belletristik. Ebenfalls findest du bei uns eine Übersicht zum Deutschen Buchpreis 2023.
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