Es gibt Stimmen, die bleiben im Gedächtnis, denen könnte man einfach stundenlang zuhören – selbst wenn sie einem das Telefonbuch vorlesen würden. Doch was – außer einer angenehmen Stimme – braucht man noch, um damit auch Geld zu verdienen, zum Beispiel als Sprecher für Hörbücher oder Hörspiele?
Genau das haben wir Elmar Börger und Matthias Rauchfuß gefragt, die sich beide mit Hörbüchern bestens auskennen.
Wie muss die perfekte Sprecherstimme klingen?
Für den Beruf als Sprecher ist vor allem prädestiniert, wer eine angenehme Stimme hat. Als angenehm gilt laut wissenschaftlichen Erkenntnissen, wer weder zu laut noch zu leise, nicht kraftlos oder schüchtern, sondern kräftig und natürlich. Monotone Stimmen hingegen werden als unsozial und neurotisch eingeschätzt.
Matthias Rauchfuß, der bei Audible als Audio Production Specialist arbeitet, betont, dass die Einschätzung, welche Stimme schön klingt und welche nicht, extrem individuell ist: „Was der eine mag, kann dem anderen schon wieder missfallen.“
Außerdem kommt es aufs Genre an, denn wer Belletristik gut vortragen kann, muss nicht unbedingt auch Sachtexte beherrschen können und umgekehrt.
Ein paar grundlegende Merkmale einer „guten“ Stimme lassen sich jedoch unabhängig von individuellen Präferenzen festhalten:
Tiefere Stimmlagen empfinden die meisten Hörer als besonders angenehm. Das gilt vor allem für Krimis, historische Romane, Thriller und Sci-Fi-Geschichten. Jüngere, vornehmlich weibliche Stimmen kommen bei romantischen Storys, Jugendromanen und teilweise auch im Fantasy-Bereich gut an.
Dialektneutrale Aussprache wird bevorzugt. Einzige Ausnahme: Hörbücher mit explizit regionalem Bezug.
Ein Sprecher sollte keine Stimm- oder Sprachfehler haben, die über die Dauer eines Hörbuchs als störend empfunden werden könnten. Dazu gehören zum Beispiel leichtes Lispeln, schmatzende Mundgeräusche, nasale Aussprache und stark zischende S-Laute.
Wie wird man Sprecher?
Eines vorweg: Den einen Beruf des Sprechers gibt es nicht. Denn das Berufsfeld ist breit gefächert und reicht vom Synchronsprecher über Feier- und Trauerredner, Moderator und Stadionsprecher bis hin zum Hörbuch- und Hörspielsprecher.
Dementsprechend ist „Sprecher“ als solches kein Ausbildungsberuf. An der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart gibt es den deutschlandweit einzigartigen Studiengang Sprechkunst und Sprecherziehung, in dem Studierende darauf vorbereitet werden, als Sprecher auf der Bühne zu stehen oder am Mikrofon zu arbeiten.
Elmar Börger, der schon zahlreiche Hörbücher für Audible gesprochen hat, hat eine Schauspielausbildung abgeschlossen – eine Ausbildung, die, wie er findet, für den Beruf als Sprecher eine hervorragende Grundlage ist: „Wenn du ein Hörbuch sprichst, dann musst du Charaktere bauen. Das Handwerk, einen Charakter zu schaffen, das lernst du in der Schauspielausbildung. Damit hast du es im Job wesentlich einfacher, weil du auf ganz viele Methodiken, die du gelernt hast, zurückgreifen kannst. Das hat mir auf jeden Fall sehr geholfen. Ich will nicht sagen, dass das die absolut festgelegte Regel ist. Da gibt es natürlich auch andere Beispiele. Aber für mich wäre es ohne Schauspielausbildung nicht möglich gewesen.“
Tatsächlich gibt es auch fantastische Sprecher wie Uve Teschner und Dietmar Wunder, die keine Schauspielausbildung absolviert haben. Dennoch meint auch Matthias Rauchfuß, dass für interpretierende Sprecherarten, zum Beispiel Synchron, Hörbuch-, Hörspiel- und Gaming-Sprechen, eine Schauspielausbildung und eine spätere Spezialisierung sinnvoll sind. Denn, so Rauchfuß: „Das tatsächliche ‚Sprechen‘, also vielmehr die Artikulation, ist nur ein Teil des Jobs.“
Ist professionelles Sprechtraining sinnvoll?
Die Antwort darauf lautet, ganz klar: Ja! Irina von Bentheim, die in der Serie „Sex and the City“ die Stimme von Sarah Jessica Parker, die Carrie spielt, übernommen hat, sagte in einem Interview: „Klar ist eine schöne Stimme ein Geschenk. Aber ohne Training geht nichts.“
Allein das lange Spreche an mehreren Stunden pro Tag und mehrere Tage hintereinander werde von vielen unterschätzt, meint Matthias Rauchfuß.
Welche Fertigkeiten muss ich als angehender Sprecher mitbringen?
Fest steht, dass ein reines Artikulationstraining, also das Üben einer möglichst sauberen Aussprache, nicht reicht – auch wenn die Stimme noch so schön ist. Matthias Rauchfuß erklärt, welche Skills man als Sprecher beherrschen sollte:
Artikulation: Dazu gehören eine dialektneutrale Aussprache, also die Kenntnis von Bühnen-/ Theater-/ Standarddeutsch, sowie das Wissen um die eigenen Defizite bei der Lautbildung. Ausnahme sind jedoch zum Beispiel regionale Krimis, die gezielt mit authentischen Dialektsprechern besetzt werden.
Atemtechnik und Körperspannung: Beides lernt man ausgiebig während der Schauspielausbildung und sollte es immer wieder trainieren, bis es zur Gewohnheit geworden ist.
Stimmpflege: Kenntnisse darüber, wie man Heiserkeit oder Stimmschäden durch die falsche Sprechtechnik vermeidet.
Auffassungsgabe: Sprecher müssen sich schnell in eine Geschichte hineinversetzen können.
Erarbeitung eines Textes: Zu sprechende Texte müsste hinsichtlich der Spannungsbögen, Betonung und Sprechgeschwindigkeit erschlossen werden.
Erarbeitung einer Sprechhaltung: Figuren, deren Stimmen und wörtliche Rede müssen angelegt, aber auch, wie der Erzähltext vorgetragen wird, bestimmt der Sprecher.
Training im Umgang mit dem Mikrofon
Zu den sogenannten Softskills, die ein Sprecher mitbringen sollte, gehören neben Umgänglichkeit auch ein gutes Maß an Lernbereitschaft und Kritik- beziehungsweise Selbstreflexionsfähigkeit.
Wie kann ich mich aufs Hörbuch- und Hörspielsprechen spezialisieren?
Wer bereits in einem Beruf arbeitet, in dem die Stimme häufig zum Einsatz kommt (zum Beispiel als Moderator oder Autor, der auf Lesereisen aus seinen eigenen Texten vorliest), sollte sich bewusst sein, dass zum Hörbuchsprechen noch zusätzliches Handwerkszeug notwendig ist.
Neben Sprech- und Artikulationstraining für Synchron und Hörbücher gibt es auch spezielle Trainings für das Sprechen vor dem Mikrofon. Fragen, mit denen man sich währenddessen auseinandersetzt, können folgende sein:
Wie arbeite ich eigentlich mit dem Mikrofon?
Wie vermeide ich Störgeräusche?
Wie bewege ich mich vorm Mikrofon?
Wie kann ich durch verschiedene Abstände zum Mikrofon bestimmte Effekte erzielen?
Wie arbeite ich mit der Technik/ Regie zusammen?
Wie pflege ich meine Stimme, damit ich bei einer Hörbuchaufnahme mehrere Stunden pro Tag und mehrere Tage am Stück durchhalte, ohne dass sie merklich darunter leidet?
Wie bereitet man sich inhaltlich aufs Hörbuchsprechen vor?
Auf neue Projekte bereitet Elmar Börger sich akribisch vor: „Ich schaue mir an, ob ich eine bestehende Serie übernehme, ob es Charaktere gibt, die der Autor schon einmal in einem anderen Buch hat auftauchen lassen. Ich schaue außerdem, in welchem Land und zu welcher Zeit es spielt, was der Autor sonst bisher gemacht hat. Das sind die Hausaufgaben, die man als Sprecher einfach machen muss.“
Matthias Rauchfuß betont: „Je besser der Sprecher vorbereitet ist, desto reibungsloser läuft die Aufnahme ab.“ Obwohl es hier keine vorgeschriebene Methode gibt, meint er: Manche Sprecher würden im Manuskript alles mögliche markieren, andere kommen ohne Notizen aus. Sinnvoll können bei der Vorbereitung aber diese Aspekte sein:
Kennzeichnung der wörtlichen Rede
Anlegung der Stimmen
Herausarbeitung von Spannungs- und Betonungsbögen
Markierungen von Sprechpausen und Sprechgeschwindigkeiten
Klärung der Aussprache von Fremd- oder Dialektwörtern im Vorfeld
Wie schaffe ich den Einstieg in die Branche?
Vorab sollte man sich überlegen, in welcher Branche man konkret arbeiten möchte – Werbung, Synchron, Gaming, Hörbücher und -spiele oder Voice-over?
Als nächstes gilt: üben, üben, üben. Matthias Rauchfuß empfiehlt, viel und lange laut zu lesen, Texte durchzuarbeiten und aufzunehmen. Dabei bietet es sich an, Texte zu nehmen, die es bereits als Hörbuch gibt und dann zu vergleichen, was der Sprecher besser macht als man selbst, was er schlechter macht und was einem an der eigenen Interpretation gefällt oder nicht gefällt.
Besonders hilfreich ist es, eine Vertrauensperson zu Rate zu ziehen, die nicht unbedingt vom Fach sein muss. „Der spätere Hörer wird meist auch nicht vom Fach sein, kann aber entscheiden, ob ihm eine Darbietung gefällt oder nicht und oft auch warum oder warum nicht“, so Rauchfuß.
Weitere Möglichkeiten zum Einstieg sind folgende:
Gezielte Trainings absolvieren
Bei befreundeten Sprechern in den Aufnahmen hospitieren und sich Dinge abschauen
Befreundete Sprecher nach Details befragen, zum Beispiel zur Vorbereitung oder den Abläufen
Initiativ-Bewerbungen bei Hörbuchverlagen, Studios, Sprecheragenturen (viele bieten Probelesungen im Studio an)
Zu guter Letzt meint Matthias Rauchfuß: „Eine Portion Glück gehört natürlich auch immer dazu, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und genau die Stimme zu haben, die gerade jetzt benötigt wird.“