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Sandman: Vom Comic zum Hörspiel

Sandman: Vom Comic zum Hörspiel

Für Dirk Maggs war das kein Neuland. Der Brite, der schon seit Jahrzehnten für verschiedene Medien schreibt, ist besonders bekannt für seine Radio-Hörspiele, die er mit besonderem cineastischen Gespür und einem Händchen für den Soundtrack umsetzt - “Kopfkino” im wahrsten Sinne. Etliche literarische Vorlagen hat er schon adaptiert, darunter The Hitchhiker’s Guide To The Galaxy als Radio-Comedy. Auch einen Roman von Neil Gaiman wandelte er schon einmal für die Ohren um: 1996 sendete die BBC seine Umsetzung von Neverwhere.

Genug Übung hatte Maggs also - und denselben Mut wie Audible, die Sache anzupacken. Und er hatte Neil Gaiman an seiner Seite. Der hegte nämlich schon lange den Wunsch The Sandman in eine hörbare Version umzusetzen. Aus besonderem Grund: Auf vielfachen Wunsch wollte er die Graphic Novel auch denjenigen zugänglich machen, die sie nicht lesen konnten - Sehbehinderten, Menschen mit Leseschwäche oder sonstigen neurologischen oder anderen Beeinträchtigungen. Sein Wunsch war es deshalb auch, ein Hörspiel so dicht wie nur irgendwie möglich am Original umzusetzen. Keine neue Interpretation also, sondern nur die Übersetzung in ein anderes Format.

Ein heroisches Unterfangen, das unter den offensichtlichen eine ganz besondere Schwierigkeit aufwarf: Die Comics haben keinen erläuternden Erzähltext. Es gibt Dialoge und Bilder und die ein oder andere Ort- und Datumsangabe. Die Handlung selbst, die Handlungsorte, das Aussehen der Figuren, ihre Stimmungen, Reaktionen - das alles ergibt sich nur aus den Zeichnungen. Für das Hörspiel jedoch brauchte es einen Erzähler, der das alles in die Köpfe der Zuhörenden malt. Woher jetzt diesen Erzähltext nehmen?

Das, erklärte Neil Gaiman mal in einem Interview, sei gar nicht so schwierig gewesen. Denn Comics und Hörspiele seien sich gar nicht so unähnlich, wie man zunächst glauen mag. Beim Entwickeln eines Comics gibt es ja zuerst auch nur die Idee, die Geschichte. Der Comic-Autor setzt sich vor ein Papier mit Kästchen, in denen später die Bilder des Comics entstehen sollen, und schreibt auf, was in diesen Kästchen zu sehen ist und was in der Geschichte passiert. Die Illustratoren machen daraufhin nicht anderes, als Worte in Bilder umzusetzen - Dirk Maggs musste also “nur” das Umgekehrte tun: Aus Bildern wieder Worte machen. Und die Dialoge waren ja sowieso schon vorhanden.

Zum Glück hatte Neil Gaiman viele seiner Aufzeichnungen für The Sandman von damals aufbewahrt. Er tauchte tief ein in uralte Computer-Dateien in längst vergangenen Word-Versionen und kramte eben diese Ursprungstexte wieder hervor, um sie Dirk Maggs zur Verfügung zu stellen. Der nahm diese Beschreibungen und “Regieanweisungen” und setzte sie in flüssigen, atmosphärischen Erzähltext um. Dass die Rolle dieses Erzählers im englischen Hörspiel Neil Gaiman selbst übernahm, war natürlich ein besonderer Geniestreich!

Dirk Maggs versuchte bei der Adaption, sich in Neils Kopf hinein zu versetzen und das zu sehen, was Gaiman gesehen hatte, als dieser die Comics schrieb; alles wiederzugeben, was dazu gehörte, auch die Atmosphäre, die Emotionen. Sein Ziel war die Erschaffung einer filmischen Kulisse aus Sound und der Tonalität der Graphic Novel.

Für die deutsche Hörspielfassung brauchte es natürliche eine weitere Übersetzung und jemanden mit Gespür, um den Rhythmus und die Stimmung des englischen Originals in eine andere Sprache zu versetzen. Das machte für Audible Gerlinde Althoff, die auch schon für die Übersetzung der Comics zuständig war. Eine logische und gute Wahl, um auch hier möglichst dicht am ursprünglich Sandman und dessen Medium zu bleiben.

Dazu gehörte natürlich auch ein ganz wichtiges Element: Die Musik! James Hannigan, vielfach ausgezeichneter britischer Komponist und Sound-Designer, schrieb The Sandman die richtige Musik auf den Leib. Bombastisch, mit Bläsern, Streichern und einem düsteren Chor, mit Sternen-Klingeln und Gewitternoten durchsetzt, empfängt uns in jeder Folge das Intro. Eine dunkle, magische Welt von riesiger Tragweite öffnet sich dem Hörer. Da geht eine Tür zu etwas Großem auf; das hört man sofort.

Während der einzelnen Kapitel jedoch nimmt sich die Musik gezielt zurück. Sie begleitet und untermauert, anstatt sich in den Vordergrund zu stellen. Hannigan baut aus Tönen eine Bühne, Landschaften und imaginäre Orte. Er unterfüttert Stimmungen und begleitet die Erzählung, anstatt sie zu übertönen. Und dann sind da natürlich die Soundeffekte: Von Gewittergrollen, Regengeprassel und wehendem Sandman-Staub bis hin zum mächtigen Flügelschlagen von Death im Kapitel “Der Klang ihrer Flügel” - ohne diese Geräuscheffekte gäbe es keine Gänsehaut. Tatsächlich zeigt sich besonders am Soundtrack, dass die Adaption auf der einen Seite Verlust bedeutet, weil die ursprünglichen Bilder des Comics verloren gehen, auf der anderen Seite aber großen Gewinn, weil der Ton neue Bilder entstehen lässt. Deaths Flügelschlag illustriert das auf besonders beispielhafte und beeindruckende Weise.

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Fehlt neben den Texten, Musik und Geräuschen noch eine weitere entscheidende Zutat: die Sprecherinnen und Sprecher! Die Engländer haben’s vorgemacht: Neben Neil Gaiman als Erzähler besetzten sie die Hauptrolle - Morpheus - mit dem schottischen Schauspieler James McAvoy. Von der Tontechnik mit mehr Volumen und Hall versehen, verkörpert er Dreams herablassende Gravitas perfekt und bekommt einen leichten “Unter-Wasser-Effekt”, passend zu den schwarzen, mit weißer Schrift versehenen Sprechblasen des Comics.

Im deutschen Hörspiel treten David Nathan und Andreas Fröhlich in diese großen Fußstapfen. Unter der versierten Regie von Tommi Schneefuß, verkörpert David Nathan den Erzähler mit allwissender Übersicht und fein empathischer Note. Dabei kommen ihm seine Subtilität und sein in unzähligen Stephen King-Romanen antrainierter, auf Reduktion basierender Grusel-Hauch hörbar zugute. Sein gewolltes Understatement passt perfekt, um sich ganz in den Dienst der Story zu stellen und die mysteriöse Atmosphäre mit zu tragen.

Als versierter Fantasy-Sprecher mit Hörspielerfahrung von Kindesbeinen an schlüpft Andreas Fröhlich nahtlos in Morpheus’ dunklen Mantel und in seine melancholische, epische Rolle. Wie James McAvoy, hat auch Fröhlich eine Wärme in der Stimme, die urplötzlich stockduster, schnarrend und böse klingen kann. Gleichzeitig menschlich und übermenschlich hört er sich an, passend zu einer Figur, die durch ihre Aufgabe ständig mit Menschlichkeit konfrontiert ist, aber als gottgleiches Wesen auch immer davon entrückt bleibt.

Weitere großartige Sprecher komplettieren das Ensemble: Maximiliane Häcke übernimmt die Rolle von Death und bürstet unsere herkömmliche Vorstellung vom Tod (männlich, düster, unheimlich) mit ihrer jungen, frechen und empathischen Stimme wie von Neil Gaiman beabsichtigt weiter gegen den Strich. Man hört ihr die Strubbelhaare, das Spagetti-Top und das Zwinkern in ihren Augen praktisch an.

Tobias Meister spricht mit Hob Goblin eine von den Fans sehr geliebte Nebenfigur: einen Mann, der sich ganz einfach weigert zu sterben und sich alle einhundert Jahre mit Dream in derselben Kneipe trifft. Passt doch, dass Meister mal den unkaputtbaren Jack Bauer in “24” verkörpert hat.

Und Luzifer, der im Englischen clever mit Michael Sheen (dem Engel Aziraphale aus Good Omens) besetzt wurde, liegt im Deutschen in den Händen, beziehungsweise Stimmbändern von Manou Lubowski, als Synchronsprecher versiert darin, sich in alle möglichen Rollen von sprechenden Autos (Cars) bis hin zu Jaime Lannister in Game of Thrones hinein zu versetzen. Und natürlich in Luzifer - denn genau den synchronisiert er schon seit geraumer Zeit in der TV-Serie Lucifer - und die beruht wiederrum auf den Comic-Figur von Neil Gaiman. Cleverer Kunstgriff!

Die Skepsis, aus The Sandman ein Hörspiel zu machen, war lange Jahre sehr groß. Zu hoch schien das Risiko, dass eine Umwandlung aus einem sehr speziellen, visuellen Format für eine ebenso spezielle Fangemeinde nicht gelingen würde. Aber das Zutrauen aller Beteiligten hat sich gelohnt: Für Audible UK wurde die englische Fassung im Handumdrehen zum erfolgreichsten Hörspiel für Erwachsene bisher überhaupt. Auch in Deutschland sind Comic-Fans und Sandman-Kenner von der übersetzten Fassung ebenso begeistert wie komplette Sandman-Neulinge. Das Hörspiel ist inzwischen auf drei Teile angewachsen: Im November 2022 ist "Akt III" auch auf Deutsch erschienen.

So ist das eben mit Träumen. Manchmal, und mit ein bisschen Mut, werden sie Wirklichkeit.

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