Von Ihnen sind kürzlich zwei Bücher herausgekommen – „Zerrissen“, der vierte Teil der True-Crime-Reihe mit Doktor Fred Abel, und „Die siebte Zeugin“. Im Mai kommt mit „Kaltes Land“ schon das nächste. Gleichzeitig sind Sie Rechtsmediziner und Professor an der Charité, Direktor zweier rechtsmedizinischer Institute – ein vielbeschäftigter Mann also. Wann finden Sie da noch die Zeit zum Schreiben?
Da muss man wirklich viel Disziplin haben. Ich sitze jetzt zwar in meinem Büro, aber habe hier jede Menge Akten und Fälle anzugucken, da kann ich natürlich nicht während meiner Arbeitszeit schreiben. Vor Corona und dem Lockdown war ich oft auf Lesereisen oder Kongressen unterwegs, da bin ich morgens um sechs Uhr aufgestanden, habe den Laptop angemacht und geschrieben. Das ist jetzt so nicht mehr möglich. Deshalb muss ich eben sehen, dass ich das irgendwie am Wochenende mache. Im Moment fällt mir Schreiben viel schwerer als vorher, weil ich eben beruflich nicht mehr unterwegs bin und jetzt am Wochenende natürlich die Zeit mit der Familie verbringe. Das ist schon ein bisschen doof.
Sie waren da also wirklich so diszipliniert, gleich morgens schon loszulegen?
Wenn ich unterwegs war, konnte ich immer gut um sechs aufstehen, kurz zum Kaffee holen in die Lobby gehen und schon drei, vier, fünf Stunden schreiben, bevor der Tag überhaupt richtig losgeht. Ich kann zum Glück schnell schreiben, am Tag gut 20 bis 25 Seiten. Das schaffen ja viele Autoren nicht. Letztens habe ich gehört, der Herr Schirach sagt, er schaffe am Tag ein oder zwei Seiten. Da hätte ich ein Problem.
Wie kann ich mir Ihren Schreibprozess vorstellen?
Ich habe immer mein Notizbuch bei mir. Das liegt zu Hause auf meinem Nachttisch und hier bei der Arbeit habe ich es auch dabei. Da trage ich alles Mögliche ein, sammle irgendwelche Zettel und alle meine Ideen. Da sind ganz viele Sachen, auf die ich zurückgreifen kann. Und natürlich habe ich den Plot im Kopf. Das habe ich von Sebastian Fitzek gelernt: Man muss vor dem Schreiben das Buch fertig haben. Man darf nicht mit einem offenen Ende anfangen, dann verrennt man sich. Das ist tödlich. Das habe ich einmal erlebt. Deshalb mache ich das jetzt tatsächlich so, dass ich erst einmal den Plot runterschreibe und den dann ausbaue.
Und in Bücher wie die Reihe mit Dr. Fred Abel, die als Mischung aus True Crime, Ermittlung und Thriller beschrieben wird, fließen Ihre echten Fälle mit ein?
Absolut. Das steht auch immer in meinem Nachwort, was leider bei den Hörbüchern nicht dabei ist. Das ist alles tatsächlich an echte Fälle angelehnt, die ich selbst untersucht habe.
Wie entwickeln Sie Ihre Charaktere?
Wie der Plot entwickeln auch die sich im Verlauf des Schreibens immer ein Stück weiter. Aber nehmen wir mal Fred Abel oder Paul Herzfeld: Die agieren natürlich rechtsmedizinisch wie ich, da kann ich 1:1 das wiedergeben, was ich denke, wie ich an Mordfälle oder ungeklärte Todesfälle herangehe. Das macht es sehr einfach.
Und die anderen Figuren?
Da habe ich natürlich klare Bilder von den Leuten im Kopf, die hier im Institut oder bei Gericht um mich herum sind, zum Beispiel von einem Staatsanwalt, einem Richter oder einer Polizeibeamtin. Ich beobachte, wie die sich verhalten, und da übernehme ich dann viel. Man muss aber auch dazu sagen: Meine Figuren sind nicht besonders tiefgründig angelegt, sondern erfüllen halt ihre Rollen. Das ist ja auch keine hohe Literatur. Ich habe nicht den Anspruch, dass das hoch literarisch sein soll. Die Bücher sollen einfach unterhaltend sein, ein hohes erzählerisches Tempo haben und gute Einblicke in die Rechtsmedizin bieten.
Die Rechtsmediziner in Ihren Büchern entsprechen so gar nicht dem Klischee des kauzigen, zurückgezogenen Mediziners, der in seinem gekachelten Obduktionssaal im Keller sitzt. Wollen Sie da Aufklärungsarbeit leisten?
Ja, denn das ist tatsächlich ein Klischee. Wir sind am Tag ein paar Stunden im Sektionsaal, aber ansonsten sind wir sehr häufig in einer ganz normalen Büro-Atmosphäre wie alle anderen auch und erledigen unsere Arbeit am Schreibtisch. Ich stelle es halt dar, wie es ist. Da geht der Tag um 7:30 Uhr mit einer Frühbesprechung los, dann geht es in den Sektionssaal, dann gibt's als Sachverständiger Gerichtsverhandlungen oder irgendwelche Tatortuntersuchungen.
Dr. Abel gerät immer wieder in gefährliche Situationen. Ihr Job als Rechtsmediziner ist hoffentlich nicht so gefährlich?
Gar nicht. Aber der kann halt all das machen, was ich nicht machen darf. Und all das erleben, was ich nie erleben werde (lacht).
Sie sind sehr aktiv auf Instagram, haben mehr als 130.000 Follower. Wer gehört dort zu Ihrer Community?
Das sind Medizinstudenten, Polizeibeamte und andere Leute „vom Fach“. Das ist also schon durchaus anspruchsvoll. Aber ich will natürlich auch die Allgemeinheit mitnehmen, da gibt's auch immer ein bisschen Blödsinn zwischendurch. Aber die fachlichen Sachen sind schon wirklich auf den Punkt. Das mache ich alles selbst und das macht mir extrem viel Spaß.
Was ist für Sie der Reiz an Social Media?
Für mich ist das total neu. Ich habe das in meinem Leben nie gemacht, war nie auf Facebook oder sonst irgendwo unterwegs und habe das eigentlich komplett abgelehnt. Bis letztes Jahr, als ich zwei YouTuber, Aaron Troschke und Marvin Wildhage, kennengelernt habe und die dann gesagt haben, dass ich dort unter anderem Bücher bewerben oder Lesungen ankündigen kann und das doch mal machen sollte. Die haben mir das dann schmackhaft gemacht. Einfach aus Interesse, mal was Neues zu machen, habe ich dann angefangen.
Und haben dann Ihre Begeisterung fürs Posten entdeckt?
Ich habe bisher immer zu meiner Frau gesagt „Ich bin zu alt für sowas!“. Ich finde das aber mittlerweile sehr unterhaltsam, und wenn ich es nicht mehr unterhaltsam finde, mache ich es nicht mehr. Instagram ist für mich nicht zwingender Bestandteil meines Lebens.
Wie gehen Sie mit Trollen und Hatern um, die es in den sozialen Medien leider zuhauf gibt?
Bisher habe ich das so gemacht, dass ich die einfach ignoriert habe. Ich habe die weder blockiert noch denen geantwortet, ich habe das einfach auslaufen lassen und habe dann gesehen, dass sich das innerhalb der Community regelt. Meine „Instagram-Rechtsmedizin-Gemeinde“ hat da gute Antennen und übernimmt da vieles für mich.
Sie gehen also recht entspannt mit negativen Kommentaren um?
Ich bin es in meinem Job gewohnt, dass irgendwelche Mörder sauer auf mich sind, weil sie lebenslang ins Gefängnis kommen. Das sind natürlich ganz andere Kaliber. Ich habe da ein dickes Fell. Mich interessiert das wirklich nicht, deshalb mache ich mir nicht die Mühe, irgendwelche Internet-Schwachköpfe zu blockieren.
Was machen Sie, um mal runterzukommen vom Arbeiten?
Ich habe zum einen meinen Hund, Fidi, den ich auch ab und zu auf Instagram zeige. Mit dem bin ich viel im Grunewald mit dem Fahrrad unterwegs. Der sieht so klein und zart aus, aber der ist echt ein zäher Kerl. Ein Terrier eben. Und ich angle gerne. Das mache ich erst seit kurzer Zeit. Ich habe letztes Jahr im Lockdown den Fischereischein gemacht, mit dem man auch Raubfische angeln darf. Im Jahr davor habe ich einen Motorbootführerschein gemacht und jetzt habe ein Motorboot und die Angelausrüstung. Das sind so die Sachen, die ich liebe. Ich liebe es aber auch, im Herbst Pilze zu sammeln. Zum großen Leidwesen meiner Frau, die überhaupt keine Pilze mag.
Sie zieht es in der Freizeit also nach draußen?
Ich bin gerne im Wald unterwegs oder schaue mir Lost Places an, also verlassene Häuser und Gebäude. Ich bin gerne in der Natur unterwegs. Das ist mein absoluter Ausgleich. Ich bin keiner, der irgendwie Binge-watching macht oder sich abends den Champagner reinhauen muss. Natur, Pilze suchen, angeln, mit dem Hund draußen oder auf dem Wasser sein, sowas macht mich glücklich.
Heißt aber auch, dass Sie das Schreiben weniger als Entspannung, sondern als Teil Ihrer Arbeit sehen?
Mittlerweile ja. Ich glaube, angefangen habe ich damit tatsächlich als eine Art Therapie, aber mittlerweile ist es schon echte Arbeit geworden. Man ist halt durch Verträge gebunden. Ich würde auch gerne mal ein, zwei, drei Jahre kein Buch rausbringen, aber dann ist man gleich wieder weg vom Markt. Das ist das, was mir Leute wie Sebastian Fitzek sagen: dass die Leser einen dann relativ schnell wieder vergessen. Und wenn man eine Stamm-Leserschaft hat und immer relativ weit vorne in den Bestseller-Listen ist, ist das natürlich eine komfortable Situation, aber auch anstrengend.
Irgendwie schade, oder?
Total schade, aber ich glaube, beides geht nicht. Entweder ist man erfolgreich und muss sich dann den Zwängen und Konventionen hingeben und liefern. Oder man macht es als Hobby und gibt seine Bücher seiner Familie zum Lesen. Aber so ist es ja bei vielen, dass das Hobby irgendwann zum Beruf wird, oder nicht?
Sie sagten, Sie haben das Schreiben ursprünglich als eine Art Therapie angefangen …
Genau! Ich habe als Kind schon Geschichten geschrieben. Insofern war das damals wahrscheinlich auch schon ein Ausgleich für mich.
Hören Sie selbst gerne Hörbücher?
Ich habe das ein paar Mal versucht mit Hörbüchern im Auto. Mein Problem ist, dass meine Gedanken ständig bei anderen Dingen sind. Dann fällt mir ein, was ich noch machen, was ich mir auf die To-do-Liste schreiben muss. Oder mir fällt der nächste Plot für ein Buch ein oder wie ich an einen aktuellen Obduktionsfall herangehe. Ich kann nicht wirklich gut abschalten. Ich lese Bücher im Urlaub, aber Hörbücher habe ich noch nicht für mich entdeckt.
Was lesen Sie denn gerne?
Ich lese gerne – so was glaubt man mir gar nicht – Western-Schinken. Dann lese ich auch gerne Geschichten, die im Stil von „Babylon Berlin“ im Berlin der 20er Jahre spielen. Und die Thriller von Joe Lansdale lese ich gerne. Was ich schwierig finde, ist, wenn ich Thriller oder Krimis lese und merke, dass der Autor keine Ahnung hat, dass er sich die Sachen aus dem Internet geholt hat. Deshalb lese ich lieber Western-Literatur oder diese Ermittler aus den 20er Jahren, wo ich nicht weiß, ob das gut recherchiert wurde.