Euer Podcast heißt „Jubel & Krawall“ – wer ist wofür zuständig?
Sophie: Wir wechseln uns ab. Tendenziell würde ich sagen, Matthias ist öfter an der Krawall-Front unterwegs …
Matthias: Das stimmt doch überhaupt nicht!
Sophie: … aber wir ärgern uns beide regelmäßig. Bei „Jubel & Krawall“ legen wir aber grundsätzlich das Augenmerk auf den Jubel, denn schlechte Laune haben wir alle genug. Wir wollen uns viel lieber über die Sachen freuen, die uns gute Laune gemacht und unser Leben bereichert haben. Also gute Bücher, gute Serien, tolle Filme, die beste Comedy …
Matthias: Wir versuchen natürlich, den Krawall zu vermeiden, aber wenn er nötig ist und Dinge aufkommen, die wir wirklich furchtbar finden, dann kann es schon mal ein wenig krawallig zugehen.
Gibt es denn Themen, bei denen ihr vorher schon wisst, dass sie Streitpotenzial mit sich bringen?
Sophie: Wenige. Ich würde sagen, wir sind uns oft einig. Ab und zu gibt’s Krawall, was Popmusik angeht. Ich habe einen großen Softspot für schrabbelige Popmusik, also sehr erfolgreiche, breit produzierte Popmusik. Da kann Matthias manchmal nicht so richtig viel mit anfangen.
Kannst du ein Beispiel nennen?
Sophie: So ein geiles Album von James Blunt, da kann ich mich schon drüber freuen. Und Matthias schaut mich mit leeren Augen an und hinterfragt grad seine Entscheidung, den Podcast mit mir zu machen.
Popmusik ist also eines der Themen, bei denen ihr euch nicht einig werdet. Gibt es noch weitere?
Sophie: Wir sind uns oft sehr einig in Sachen, die uns total begeistern. Wenn wir eine Serie schauen, schreibt der eine dem anderen nach der ersten Folge eine SMS, dass das das Beste ist, was wir in diesem Jahr gesehen haben. Manchmal bin ich aber völlig überrascht von Sachen, die er kacke findet. Da hinterfrage ich dann, ob er seinen Geschmack verloren hat.
Ihr sagt, ihr wolltet einen Podcast über Themen machen, von denen ihr Ahnung habt. Welche Themen werden also auf keinen Fall vorkommen?
Sophie: Fitness.
Matthias: Botanik. Naturwissenschaften im Allgemeinen.
Sophie: Ausdruckstanz.
Matthias: Bildhauerei.
Sophie: Töpfern. Mülltrennung.
Matthias: Alles, was im weitesten Sinne mit Filz zu tun hat.
Sophie: Meteorologie.
Matthias: Obwohl …
Warum sollten die Leute euren Podcast hören?
Sophie: Ich mag, was wir machen, und ich mag, wie wir miteinander reden und über Kultur sprechen. Aber unabhängig von uns glaube ich, dass dieser Podcast gegen ein Gefühl der Überforderung ankämpft, das wir alle haben. Wir alle haben, glaube ich, ständig das Gefühl, dass wir zu wenig Bücher lesen, nicht genug mitbekommen, dass Texte im Internet, die alle teilen, an uns vorbeigehen, dass wir neue Platten nicht ordentlich hören … und dieser Podcast will alles peu à peu sortieren. Unser Ziel ist es, dass Leute Jubel & Krawall hören und danach denken, dass die Welt gar nicht mehr so unübersichtlich wie vorher ist.
Matthias, magst du etwas hinzufügen?
Matthias: Das ist genau der Grund, warum wir diesen Podcast machen und ich hoffe natürlich auch, dass sich die Leute durch Art und Weise, wie mir miteinander umgehen und reden und streiten, gut unterhalten fühlen.
Das ist ja jetzt nicht das erste Mal, das ihr zusammenarbeitet. Was könnt ihr mir über die Arbeitsweise des jeweils anderen verraten?
Matthias: Nur Gutes. Wir haben uns auch deshalb entschlossen zusammenzuarbeiten, weil wir uns wunderbar ergänzen. Sophie ist zum Beispiel viel schneller im Kopf, als ich das bin. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich ein paar Jahre älter bin, aber ich bin etwas langsamer, etwas behäbiger. Das ergibt am Ende eine ganz gute Dynamik. Und Sophie ist auch manchmal euphorischer als ich, kann diese Euphorie aber sehr gut begründen, weshalb ich mich doch ab und zu anstecken lasse.
Sophie: Das ist die höfliche Art zu sagen, dass er deutlich gründlicher ist … Ich bin zwar schneller und habe auch schneller eine Meinung, die ich dann bis zum Ende fast Debattierclub-mäßig durchhalte. Manchmal merke ich auf halber Strecke, dass er einen Punkt hat. Dann habe ich aber schon gesagt, dass ich etwas toll finde und muss Gründe finden, warum das so ist.
Matthias ist also derjenige, der immer vorbereitet ist?
Sophie: Matthias ist definitiv derjenige, der zu Podcastaufzeichnungen mit einer Kladde DIN-A4-Blättern und Notizen kommt, Wikipedia-Artikel und Querverweise gelesen hat. Und ich bin diejenige, die Burritos-essend auf dem Bett eine Serie geguckt hat. Ich bin mit Sicherheit nicht so gründlich und nicht so fleißig wie er, was die Vorbereitung angeht – und muss das dann mit jugendlichem Wahnsinn wieder wettmachen.
Matthias: Wobei Sophie über ein unfassbares popkulturelles Wissen verfügt, das weit bis in die Siebzigerjahre zurückreicht. Sophie ist beispielsweise ein wandelndes Fleetwood-Mac-Lexikon. Als sie mir das erzählt hat, musste ich Fleetwood Mac erst einmal googlen. Wir ergänzen uns in dem, was wir an Wissen über Popkultur mitbringen, schon wahnsinnig gut. Wir hoffen natürlich, dass sich diese Ergänzung in dem Podcast wunderbar widerspiegeln wird.
Sophie: Es gibt auch ein paar Fälle, bei denen ich merke, dass Matthias mein Coolness-Indikator ist. Ich hoffe, ich trete dir nicht zu nahe, wenn ich sage, dass du wahrscheinlich ein cooler Teenager warst. Wenn ich Musik aus deiner Jugend höre, dann weiß ich: Wenn er das cool fand, dann ist es auch wirklich cool. Und er hat manchmal noch ein besseres Verständnis für ältere Bands.
Wie macht sich das bemerkbar?
Sophie: Ich habe mal gesagt, ich find Simon & Garfunkel gut, musste aber erst einmal Matthias fragen, ob es in Ordnung ist, dass ich die gut finde. Dann hat Matthias den Daumen runtergemacht und gesagt „Raus aus meinem Haus!“
Gab es an der Arbeitsweise des anderen etwas, an das ihr euch erst gewöhnen musstet? Was würdet ihr nach wie vor gerne ändern?
Matthias: Überhaupt nichts. Sonst würde das nicht so wahnsinnig gut funktionieren. So unterschiedlich wir arbeiten, so groß ist auch der Nutzen, den das für den Podcast hat. Deswegen würde ich niemals von Sophie eine andere Arbeitsweise verlangen – und ich hoffe, sie von mir auch nicht.
Sophie: Ich würde mir manchmal wünschen, dass er mal ohne Notizen in den Podcast kommt, damit ich mich nicht schlecht fühle.
Matthias: Aber dann werde ich nervös.
Sophie: Und dann hat keiner von uns irgendwelche Infos.
Also einer von euch muss informiert sein, damit das funktioniert?
Sophie: Ich bin auch keine Chaotin, aber einfach nicht so an kleinteiligen Details interessiert. Ich interessiere mich eher für das Grundgefühl, das ich habe, wenn ich eine Platte höre oder eine Serie schaue. Ich bin oft assoziativer. Und ich kann auch oft, was Matthias logischerweise nicht kann, Dinge auf die heutige Jugendkultur übertragen. Wenn ich eine Serie wie „Tote Mädchen lügen nicht“ gucke, dann weiß ich, dass ich hundertprozentig die Zielgruppe bin und kann emotionaler argumentieren als Matthias, der nicht sagen kann „Ich als Teenager finde die Serie auch super“.
Matthias: Das ist ganz gut, weil ich dann nicht in diese nervige Rolle des Gab’s-alles-schon-mal-Getue falle. Das ist ja der größte kulturpessimistische Ansatz, den es gibt. Diese Euphorie und diese Einordnung in die Jugendkultur, die mir Sophie bietet, helfen mir natürlich auch, Dinge nicht als zynischer alter Mann sofort abzutun.
Sophie: Und andersherum hilft es mir, sehr respektvoll vor Augen geführt zu bekommen: Du begeistert dich zwar gerade sehr für diese Sache, aber das habe ich auch schon einmal so gehört.
Hast du dafür ein Beispiel?
Sophie: Billie Eilish, die für mich so eine Erleuchtung war, hat Matthias sich angehört – und er hat sie sich sehr gründlich angehört, weil er weiß, dass sie mir am Herzen liegt. Ich habe an seiner Reaktion gemerkt, dass er die Musik gut findet, es aber nicht so ist, als hätte er noch nie in seinem Leben so ein Phänomen wahrgenommen. Das ist auch für mich ein Korrektiv, weil ich dann merke, ich bin nicht die Erste in meinem Alter, die denkt, dass das, was ich hier gerade fühle, noch nie jemand vor mir gefühlt hat.
Was ja sehr beruhigend sein kann – festzustellen, dass man eben nicht der einzige Mensch ist, der etwas Bestimmtes erlebt.
Matthias: Ich glaube, das ist auch ein großes Geschenk für unsere Hörerinnen und Hörer, weil wir sie nicht mit ihren Gefühlen für Musik, ein Buch oder eine Serie allein lassen. Wir sagen, dass popkulturelle Güter eben etwas mit einem machen – und man nicht allein in dem ist, was sie mit einem machen.
Was sind für euch die brennendsten ungeklärten Fragen der Popkultur?
Sophie: Warum haben Leute in deinem Alter, Matthias, Harry Potter niemals als die große Erzählung des 21. Jahrhunderts wahrgenommen, die sie ist? Warum wurde das als Jugendbuch abgetan?
Matthias: Wo ist Richey von den Manic Street Preachers? Ist er wirklich ins Wasser gegangen oder lebt er in Australien und hat eine Schaffarm?
Sophie: Mich würde noch interessieren, warum Leute mir, wenn ich einen Good-Hair-Day habe, auf Instagram sagen, dass ich aussehe wie Thomas Anders? Und wer ist Thomas Anders?
Matthias: Kann ich dir bei Gelegenheit mal erklären.
Was sind eure All-Time-Favourites der Popkultur?
Sophie: Bei mir ist es, was Serien angeht, immer The Office. Ich kann beim amerikanischen The Office alle Staffeln mitreden. Und Saturday Night Live. Musikalisch, genau wie Matthias, Bruce Springsteen.
Matthias: Wobei ich tatsächlich Bruce Springsteen für mich relativ spät entdeckt habe. Ich bin eher ein britischer Indie-Pop-80er-Jahre-Boy. Das ist der Referenzrahmen, wo sich für mich musikalisch alles drauf zubewegt.
Sophie: Was viele nicht wissen: Wenn Matthias ein Bier getrunken hat und The Smiths auflegt, knöpft er sich sofort das Hemd bis zum Bauchnabel auf und tanzt.
Matthias: Ja, genau. In der Literatur wird es für mich immer F. Scott Fitzgerald sein. Und bei Filmen, wo wir relativ weit auseinanderliegen, ist es Rocky.
Sophie, wie stehst du zu Rocky?
Sophie: Ich habe letztes Jahr zu Weihnachten von Matthias das schönste und auch persönlichste Geschenk bekommen, das ich mir je hätte vorstellen können. Nämlich die Blu-Ray-Box mit allen Rocky-Filmen. Und ich habe sofort ganz hektisch all meine Blu-Ray-Spieler verschenkt, weil ich dachte, ich würde dann eine Ausrede haben, das nicht gucken zu müssen. Rocky ist so ein Film, den habe ich für 2022 auf dem Plan.
Matthias: Wir gucken gemeinsam und machen daraus einen Podcast (lacht).
Sophie: Wir machen ein Live-Event!
Abgesehen von Rocky, womit kann man Matthias noch begeistern, Sophie? Womit kann man ihn auf die Palme bringen? Worüber freut er sich?
Sophie: Man kann Matthias auf die Palme bringen, indem man nicht ordentlich denkt. Matthias kann sich über wenig so sehr aufregen, wie über schlecht geschriebene, schlampig gedachte Texte. Matthias freut sich über Euphorie. Das ist tatsächlich etwas, das man vielleicht nicht sofort vermutet, wenn man ihn im Podcast hört, aber Matthias ist der Erste, der mit großer Zufriedenheit akzeptiert, wenn jemand sich euphorisch über eine Sache freut – auch wenn er diese Sache nicht nachvollziehbar oder bescheuert findet.
Würde ich jetzt sagen, dass Simon & Garfunkel meine neue Lieblingsband ist und in mir Orte berührt, an die keine andere Band rankommt, dann würde er eine Faust in der Tasche machen, sich aber darüber freuen, dass ich mich freue. Das ist mit Sicherheit eine große Stärke. Es gibt einen Punkt, da hört er auf zu debattieren und stellt seine eigene Eitelkeit, die ja jeder hat, hintenan und sagt nur „good for you“! Eine Freude machen kann man dir, wenn man dir in der Nussmischung mit Cashews und Erdnüssen die Erdnüsse überlässt.
Matthias: Wobei ich manchmal diese Mandeln auch ganz gerne habe, aber die isst du weg. Das ist ein bisschen ärgerlich.
Und womit kann man Matthias langweilen?
Sophie: Ihn langweilen schlecht erzählte Geschichten. Über die ärgert er sich ganz kurz, weil er sich fragt, warum die nicht besser gemacht sind. Aber wenn er drei Seiten gelesen hat, denkt er einfach nur, dass ihm hier die Zeit geraubt wird.
So, Matthias, jetzt bist du dran: Wie tickt Sophie? Womit kann man sie auf die Palme bringen? Womit sie besonders glücklich machen? Was langweilt sie zu Tode?
Matthias: Sophie kann man auf die Palme bringen – und das ist quasi mein Life-Goal schlechthin – indem man zu langsam ist. Zu langsam im Denken, zu langsam im Geschichtenerzählen. Die Geschwindigkeit, die Sophie selber an den Tag legt, fordert sie auch von anderen Leuten ein. Sie wird leicht ungeduldig, wenn sie das Gefühl hat, dass jemand nicht zum Punkt kommt, …
Sophie: Komm, mach hinne!
Matthias: … wenn es keine Pointe gibt. Das ist natürlich vor allem für mich und für den Podcast ein großer Antrieb, dass Sophie sehr unerbittlich die Art und Weise, wie sie selber ist und wie sie selber denkt, auch von anderen einfordert – und das zu recht.
Und womit kann man sie glücklich machen?
Matthias: Ich glaube, da ergänzen wir uns ganz gut. Sophie ist sehr offen für die Euphorie von anderen Leuten. Wenn die gut und schnell begründen können, warum Sachen toll sind, warum sie dieses Buch mal lesen sollte oder warum dieser Song mein Leben verändert hat, dann ist sie sowas von aufnahmebereit und hört sich nicht nur diesen Song an, den man ihr empfiehlt, sondern weiß zwei Stunden später alles über die Band, alles über die B-Seiten und kann auch noch einordnen, was das Ganze mit Harry Potter zu tun hat. Da funktionieren die Synapsen wahnsinnig schnell und wahnsinnig gut. Sophie freut sich, glaube ich, tatsächlich, wenn sie mit Dingen konfrontiert wird, die sie größer oder noch besser machen kann. Deshalb funktioniert es mit uns beiden ganz gut.
Wenn du sie mal richtig langweilen möchtest …?
Matthias: … dann erzähle ich von früher (lacht). Sie hört jetzt schon nicht mehr zu, wir können jetzt also unter uns reden.
Sophie: Seid ihr noch dran? Habe kurz abgeschaltet …
Über die Gastgeber
Sophie Passmann (*1994) wurde einmal als die meinungsstärkste und unterhaltsamste Stimme ihrer Generation bezeichnet. Sie hat in der Sendereihe „Joko und Klaas gegen Pro Sieben“ die Sendung „Männerwelten“ moderiert und nutzt ihren Instagram-Account regelmäßig, um ihre Follower politisch und kulturell zu bilden. Ihr Buch „Alte weiße Männer“ war lange ein Bestseller und sorgt bis heute im Internet für hitzige Diskussionen.
Mit Kultur kennt sich der Journalist Matthias Kalle (*1975), ziemlich gut aus. Ob filmisch, literarisch oder musikalisch - seine Meinung ist gefragt. Er schrieb für das jetzt-Magazin, erhielt den Axel-Springer-Preis, kreierte die Zeitschrift Neon mit, war Chefredakteur des Hauptstadtmagazins Zitty und zuletzt stellvertretender Chefredakteur beim ZEITmagazin. Sein Buch „Als wir für immer jung waren“ erschien 2017.