Cornelia Funkes Tintenwelt beeindruckt mit ihren magischen Wesen - silberne Drachen mit heilenden Kräften, märchenhafte Könige und Feen. In ihren zahlreichen Büchern erzählt Cornelia Funke die fantastischsten Geschichten. Wie diese entstehen und woran sie gerade arbeitet, erzählt die Bestsellerautorin uns im Interview.
Cornelia Funke: Schriftstellerin im Interview
Wie denkst du dich in eine Geschichte rein? Während der Arbeit an „Tintenherz“ hast du dir ja Bilder an die Wände gehängt …
Früher habe ich das gemacht, dass ich Sachen an Wände gehängt habe, aber das fand ich so unpraktisch auf die Dauer, weil man irgendwann alles abnehmen und verschrotten muss. Deswegen arbeite ich mittlerweile nur noch in Notizbüchern.
Ich habe inzwischen 90 Notizbücher, die alle gefüllt sind mit meinen Recherchen, mit Fotos, mit Skizzen, mit Zeichnungen … inzwischen kannst du anhand meiner Skizzenbücher richtig nachvollziehen, wie meine Bücher entstanden sind. Das hat sich als die beste Methode herausgestellt.
Wie können wir uns deinen Tagesablauf als Schriftstellerin vorstellen?
Den typischen Arbeitstag gibt’s nicht mehr, seit meine Kinder aus dem Haus sind. Als die im Haus waren, habe ich alles immer um sie herumgebaut. Ich wollte gerne Mutter sein, wenn sie da waren, habe dann im Grunde nicht gearbeitet oder sie waren mit mir im Schreibhaus. Mein Alltag wurde vom Rhythmus der Kinder definiert. Inzwischen bin ich total frei in der Hinsicht.
Und wie sieht dein Tag jetzt aus, wo du ihn ganz so gestalten kannst, wie du magst?
Ich habe ja im Januar mein „Artist in Residence“-Programm gestartet und habe bisher 16 Künstler hier gehabt. Wir sind inzwischen ziemlich ausgesucht bis Juli nächsten Jahres. Das nimmt gerade sehr, sehr viel meiner Zeit in Anspruch, weil ich mich dann mit den Künstlern, die hier sind, sehr intensiv auseinandersetze.
Was macht ihr dann gemeinsam?
Ich spreche mit denen über Kunst oder etwas Ähnliches und liebe es zu beobachten, wenn sich etwas ändert, während sie hier sind. Dieses Projekt ist für mich sehr wichtig, so wie ich mich hier auch verstärkt für Naturschutz engagiere. Klar, ich schreibe immer noch Bücher, aber es gibt viele Bereiche in meinem Leben, die mir inzwischen genauso wichtig sind.
Arbeitest du also immer an mehreren Schreibprojekten auf einmal?
Ich mache immer mehrere gleichzeitig. Ich bin jetzt in der dritten Fassung von Reckless 4, da fange ich so langsam an alles zurecht zu rücken. Das heißt der Plot steht, jetzt geht’s ans Sprachliche, an Details der Charakter … es ist also noch ein langer Weg. Ich mache mindestens noch drei, vier Fassungen.
Dann schreibe ich an der ersten Fassung vom nächsten „Drachenreiter“ und im nächsten Jahr gehe ich an die Fortsetzung von den Tintenwelt-Büchern. Außerdem schreibe ich gerade an einer Kurzgeschichte fürs Getty Research Institute, für die ich regelmäßig Kurzgeschichten zu ihren Ausstellungen schreibe, die ich dann bei ihnen lese. Dann gehen die Familien nach der Lesung in die Ausstellung und gucken die sich vielleicht ein bisschen anders an. Und ich arbeite an mehreren Illustrationsprojekten im Moment, weil mir das immer wichtiger wird. Ich arbeite mit einer Kräuterkundlerin an einem Buch über Pflanzen. Ich arbeite an einem Alphabetbuch. Und jetzt kommt bald ein befreundeter Maler aus Barcelona mit seiner Familie und mit dem will ich an einem Skizzenbuch meiner Farm hier arbeiten.
Du bist also eher nicht die einsiedlerisch veranlagte Schriftstellerin, die sich hier einschließt und allein vor sich hin arbeitet?
Jeder Künstler hat diese Seite, aber ich liebe es, von sehr vielen Menschen umgeben zu sein. So lebe ich gerne. Und mit diesem Grundstück habe ich die Chance, hier mein eigenes Dorf aufzubauen.
Was sagst du zu dem Vergleich, dass du „die deutsche J.K. Rowling“ bist, der oft in der Presse zu lesen ist?
Ich nehme es als Kompliment, aber inzwischen bin ich es ein wenig Leid. Das passiert ja Schauspielern oder Regisseuren ähnlich, aber für mich ist das journalistische Faulheit. Man möchte dem Leser sagen „Schau, das ist eine bekannte Geschichtenerzählerin!“, also nimmt man die bekannteste und vergleicht sie einfach miteinander. Da J.K. Rowling und ich sehr ähnliche Werte in unseren Geschichten vertreten und sie wirklich eine meisterhafte Geschichtenerzählerin ist, empfinde ich es aber als Kompliment. Gleichzeitig sehe ich auch die Unterschiede. Von daher denke ich immer: Es stimmt und es stimmt auch wiederum nicht. Vielleicht hat auch gerade das neue Buch jetzt noch einmal klargemacht, dass ich viele Dinge eben ganz anders sehe. Aber letztlich ist es ein Kompliment.
Weißt du am Anfang einer Geschichte schon, wie sie ausgehen wird?
Das entwickelt sich. Ich würde mich sonst zu Tode langweilen.
Hast du je so etwas wie Schreibblockaden?
Nein, die gibt es ja überhaupt nicht! Das ist so ein Blödsinn. Ich versuche das so zu vergleichen: Jede Geschichte ist wie ein Labyrinth – und je besser du wirst, desto größer, desto komplexer wird das Labyrinth. Die Geschichte versteckt sich darin vor dir. Die hat großen Spaß daran, sich vor dir zu verbergen, schickt dir die falschen Charaktere, lockt dich in die falschen Seitengänge, versucht so richtig, dich von ihrem Herzen abzulenken. Während du schreibst merkst du manchmal richtig, wie du dem Herzen näherkommst und du merkst eben manchmal auch, wenn du in die Hecke läufst – und das nennen Leute Schreibblockaden. Aber was es wirklich ist, ist das die Geschichte sich vor dir versteckt.
Und was machst du, wenn sich die Geschichte vor dir versteckt?
Ich glaube, solche Tage sind besonders wichtig, weil du dann merkst, dass du falsch gegangen bist. Du musst im Grunde noch einmal zurückgehen und schauen, wo sie dich getrickst hat, wo du statt rechts links hättest gehen müsse. Von daher finde ich diese Tage, an denen du merkst, dass du nicht weiterkommst oder dass die Geschichte sich versteckt, immer sehr aufregend, weil ich dann denke, ich bin ihr ein bisschen nähergekommen.
Also ist das nichts, was dich groß frustriert?
Nein, dann muss man einfach mehr graben. Da hat man es sich vielleicht zu einfach gemacht. Dann ist man ganz schnell den leichteren Weg gegangen und da muss man eben erst einmal zurückgehen. Ich glaube wirklich nicht, dass es Schreibblockaden gibt. Ich glaube, jede Geschichte hat schon ihre Form, man muss ihr nur auf die Spur kommen. Ich habe immer fast das Gefühl, die ist schon irgendwo … was natürlich eine vollkommen irrationale Einstellung ist. Michelangelo hat das einmal so schön gesagt, als er gefragt wurde, wie er den David aus dem Stein gemeißelt hat: „Der war doch da drin, ich musste den nur finden.“ Ich glaube, dass alle Künstler dieses Gefühl haben. Das ist auch so, wenn ich male. Das Bild wird nur gut, wenn ich es dem Pinsel überlasse zu malen. Wenn ich selber sage, so und so soll das aussehen, dann wird es vorhersehbar, uninteressant, mittelmäßig. Wenn man sich aber traut zu sagen, das wird jetzt kommen, das wird sich schon zeigen, dann wird es sehr viel interessanter.