Judith Arendt schrieb Drehbücher für deutsche Fernsehehserien und sieht umso lieber amerikanische. Ihre Leidenschaft gilt dem Kriminalroman, insbesondere dem skandinavischen und britischen. Judith Arendt lebt mit ihrer Familie seit einigen Jahren in der Nähe von München. Ihre beiden ersten Bücher "Unschuldslamm" und "Sündenbock" drehen sich um eine Schöffin in Berlin, die neue Krimireihe um die Polizistin Helle Jespers spielt in Dänemark.
Die Autorin liest aus ihrem neuen Krimi "Helle und der falsche Prophet":
5.11.2020: Krimibuchhandlung Miss Marple, Berlin
6.11.2020: Hamburgerkrimifestival, Kampnagel, zusammen mit Katrine Engberg
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Frau Arendt, Helle Jespers ist eine tolle Hauptfigur und Ermittlerin. Hatten Sie jemanden Bestimmten im Sinn, als Sie Helle entwarfen?
Nein, nicht eine konkrete Person. Aber Helle setzt sich aus vielen verschiedenen Frauenfiguren zusammen, fiktiven und realen. So hat sich mir vor vielen Jahren schon die Schauspielerin Frances McDormand eingebrannt, als Ermittlerin Marge Gunderson in dem Spielfilm „Fargo“. Dieses Bild, wie Marge hochschwanger, stoisch aber empathisch durch den Schnee stapft, hat sich bei mir festgesetzt und ist bei den Überlegungen, was ich für einen Krimi schreiben möchte, nach oben gespült worden (nicht zuletzt auch durch die Serie, wieder mit tollen Frauenfiguren).
Aber Helle ist auch die Summe vieler Frauen in meiner nächsten Umgebung. Vieler toller Frauen! Und sie ist eine konsequente Weiterentwicklung von Ruth Holländer, der Schöffin meiner beiden ersten Romane.
Was schätzen Sie an Helle am meisten?
Dass sie echt ist. Sie ist total bei sich, sie „ruht in ihrer Mitte“, wenn Sie so wollen. Aber das Leben – und insbesondere das Leben als Polizistin – läuft eben nicht immer rund und deshalb wird Helle immer wieder aus ihrer Mitte geholt, sie wird erschüttert von dem, was um sie herum passiert. Und das lässt sie nicht kalt, sie ist bestimmt von ihrer Empathie, nicht wie ihr Kollege Sören Gudmund von der Mordkommission. Er ist analytisch, ein klarer Kopf, der sich nicht von Emotionen leiten lässt. Helle ist das Gegenteil! Sie ist hochemotional, sie kann wütend und beleidigend werden, aber auch mitreißend und fürsorglich. Das ist auch ihre große Qualität. Ich würde sagen, sie ist ein normaler Mensch. Keine Ermittler-Überfigur.
Welche Figur liegt Ihnen neben Helle besonders am Herzen?
Emil! Der Hund. Er ist eins zu eins mein Hund Kasper.
Von den menschlichen Figuren liegt mir nicht eine mehr am Herzen als die anderen. Ich versuche immer, eine Figur ins Zentrum zu stellen und dann eine Welt drumherum zu bauen, eine Welt von Schicksalen, die mir eigentlich wichtig sind. Auch das Schicksal der Täter. Täter sind keine Monstren, auch, wenn sie monströse Taten begehen. Ich versuche, viele verschiedene Figuren zu zeichnen, die alle gute und weniger gute Seiten haben. Ich mag sie alle und wen ich nicht mag, mit dem habe ich wenigstens Mitleid.
Ihre Kriminalromane sind sehr atmosphärische Krimis. Schon im Fall der Schöffin Ruth Holländer, aber vor allem auch die dänischen Krimis "Helle und der Tote im Tivoli" und "Helle und die kalte Hand". Die Eisschollen schieben sich auf den Strand, das Feuer prasselt im Kamin und es duftet wunderbar nach Quiche. Wie beschwören Sie all diese Eindrücke herauf?
Ich sitze schreibend in einem Film, meinem eigenen Film (mit Geruchskärtchen gewissermaßen). Alles ist wichtig. Die Bilder von dem, was passiert, laufen vor meinem inneren Auge ab und ich weiß sofort, wie es dort riecht, ob es hell oder dunkel ist, ob an einer Straße dürre Büsche wachsen oder grüne Bäume. Und genauso weiß ich instinktiv, was die Figuren essen, trinken und wie sie riechen. Das könnte ich nicht konzipieren und ich überlege es mir auch nicht vorher.
Dennoch schreiben Sie keine seichten und gemütlichen Krimis. Helle muss sehr schlimme Verbrechen aufklären und das wird von Ihnen auch nicht beschönigt. Wie gehen der Schrecken eines Mordes und die Behaglichkeit in Helles Strandhaus für Sie zusammen?
Grundsätzlich ist mir wichtig, dass Verbrechen, egal welcher Art, weder komisch sind noch behaglich. Ich halte nichts von der Schublade Cosy Crime. Verbrechen, auch wenn es sich „nur“ um Handtaschenraub handelt, verletzen und erschüttern uns. Das muss so auch im Krimi beschrieben werden. Aber das ist ja nicht ausschließlich unsere Welt. Auch im realen Leben liegt beides so nah beieinander. Gewalt oder Krankheit oder Unglück. Aber dann gibt es vielleicht jemanden, der einen in den Arm nimmt, oder man trinkt eine Tasse Tee, schaut aus dem Fenster, hört den Gesang eines Vogels. Schöne Momente, die trotzdem da sind, trotz des Bösen. Zumindest ist es für uns in kriegsfreien Regionen so. Und das soll der Krimi abbilden. Keine Sozialromantik, aber das Leben. Deshalb ist es auch ein Krimi und kein Thriller. Da darf die Spannung ja in keinem Moment nachlassen, das wäre mir zu atemlos. Ich brauche die Gegensätze, auch beim Schreiben. Von Totschlag muss ich mich auch als Autor erholen und dann gibt es eben eine Szene, in der Helle gemütlich auf dem Sofa herumfläzt.
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