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Hölderlin in Tübingen

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Hölderlin in Tübingen

Von: Dieter Schlesak, Angelika Overath
Gesprochen von: Norbert Beilharz, Enrique Keil, Charles Wirths
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Über diesen Titel

Dieses Hörbuch besteht aus zwei Sendungen des SWR zu Hölderlins Zeit in Tübingen: In der Produktion "Die gefährliche Krankheit Poesie" setzt sich Dieter Schlesak mit dem späten Hölderlin auseinander, dem Hölderlin der Tübinger Jahre.

Im Vordergrund steht jedoch nicht die psychische Krankheit, die ihm nachgesagt wurde, sondern das soziale Umfeld, die gescheiterte Revolution und die Freundschaft mit dem Kammerrat Sinclair, dem Hochverrat vorgeworfen wird.

Als Sinclair aus der Haft auf der Solitude entlassen wird, ist Hölderlin bereits bei dem Sattlermeister Latter in Tübingen untergebracht, ein Arzt hat attestiert, sein Wahn sei in Raserei übergegangen. Dieses Attest bewahrt Hölderlin vor dem Hochverratsprozess und liefert ihn der endgültigen Einsamkeit aus.

Regie: Uwe Schareck.

Die zweite Sendung "Die Stimme Lotte Zimmers oder Die Realität des Lebens" hat folgenden Inhalt: Sie lebte als Kind und Mädchen in einer Hausgemeinschaft mit Friedrich Hölderlin; als junge Frau hat sie ihn am Ende alleinverantwortlich betreut. Die Hölderlin-Philologie übersah Lotte Zimmer, jene letzte Vertraute des Dichters, die Texte noch tintenfrisch lesen konnte, die nun zum größten Teil verloren sind.

Angelika Overath verfolgt die Spur eines philosophischen Stammbuchblatts von Hölderlins später Hand, "Von der Realität des Lebens", das Lotte Zimmer, mit einer Bemerkung versehen, 25 Jahre nach seinem Tod einem ihrer studentischen Hausgäste schickte. In den Briefen der jungen Lotte Zimmer, (darunter die Briefe, die erst 1993 in Nürtingen entdeckt wurden), wie in denen, die sie als alte Frau schrieb, lebt die Stimme der Schreinerstochter fort, die mit Hölderlin sprach und die von einer anderen alltäglichen Realität des Lebens erzählt.

Regie: Claus Villinger.

©1993/1994 SWR (P)1993/1994 SWR
Biografien & Erinnerungen

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Hölderlins Zeit bei den Tieren auf zwei Beinen

Durch den Verdacht auf umstürtzlerische Machenschaften wird erst der Freund Sinclair verhaftet. Nach einem halben Jahr entlassen und erneut beschäftigt bei dem Grafen zu Homburg verschafft der Herr Geheimrat Sinclair seinem Freund Hölderlin eine Stelle als Bibliothekar beim Grafen. Zunächst sind sie wieder Freunde wie beschrieben im Hyperion, wobei Sinclair vermutlich Alabanda zu sein scheint. Dann wird auch Hölderlin verhört und als geisteskrank entlassen. Was weiter passiert, könnte ein Marthyrium der pervidesten Art genannt werden, zur damaligen Zeit aber eine Kur gegen Geisteskrankheit. Der Dichter sollte zerbrochen werden. Nach einem halben Jahr erst wird er entlassen, seine Familie hat ihn entmündigt, er lebt von einer mimimalen Rente, zum Teil aus dem grossenErbteil, als seine Mutter verstarb., bei einer Schustersfamilie. Da scheint er ein wunderbarer Erzieher für die Kinder des Schusters gewesen zu sein, denn Charlotte Zimmer besitzt Geist und Witz, was aus ihren Briefen hervorgeht.. Sie hält nach dem Tod des Dichters seine Aufzeichnungen in Ehre .

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Zwei komplementäre Beiträge

Der erste der beiden Beiträge zu Hölderlin verfolgt seine Krankenakte.
Nach einer Ausbildung zum angehenden Theologen, mehreren Stellen als Hauslehrer, unterrichtete er in Frankfurt am Main bei einer vermögenden Bankiersfamilie und unterhielt eine heimliche Liebe zu der Frau des Hauses. Nachdem diese Konstellation sich als unmöglich erwiesen hatte, nahm er weitere Stellen an und gelangte auf diese Weise bis nach Frankreich, um von dort zerrüttet und äußerlich verwahrlost zur strengen Mutter nach Schwaben zurückzukehren. Einen Vater hatte er schon seit der Kindheit nicht mehr gehabt. Mit dem sozialen Gefüge gerät er aneinander. Die Mutter bricht seinen Briefkasten auf, um der verbotenen Liebe ihres Sohnes nachzuspüren, er, leicht reizbar, wirft diese samt Schwester aus deren eigenem Haus.
Nach Versuchen in Homburg dem Landgrafen als Bibliothekar zu dienen, bzw. dem Freund Sinclair, der dort in vertrauten Diensten steht, wird ihm allmählich der Anspruch des sozialen Umfelds zum Verhängnis. Der Beitrag nimmt die Lesart an, die sodann erfolgte schwerwiegende Klage wegen Hochverrats gegen beide Freunde zugleich, habe beide entzweit.
Als Dichter hängt Hölderlin der verflossenen Liebe nach, was ihn unmöglich macht in der strengen Standesordnung der Zeit. Sein Charisma jüngerer Zeiten, seine äußere Schönheit, was ihn schnell zum Mittelpunkt von Gruppen machte, sowie sein Stolz, er ist und versteht sich selbstbewusst als Gelehrter, haben ihn, gleich einem Geistlichen in dessen genuiner Haltung auf Einheit und Überwindung bedacht, für den bloß äußeren Zwang vorsichtig gemacht. Während die ihn verlassen habenden Gefährten der Klosterzeit Hegel und Schelling sich in einer Phase zunehmend schwindender Autorität der Kirche als Philosophen des Deutschen Idealismus inzwischen universitärer Anerkennung erfreuten, und der einstige Weggefährte und Förderer Schiller sich auf seine Art der Antike annäherte, bleibt Hölderlin zur damaligen Zeit weniger bekannt, im Schatten. Anders als die prominenten Gelehrten die in den Adelsstand aufsteigen, vor allem in Weimar, hat der im Grunde republikanisch orientierte Dichter Hölderlin, wie herausgearbeitet wird, Mühe und Not seinen Platz in der etablierten Ordnung zu finden, mehr noch, sein Platz hat keinen realen Raum.
Also von Freunden, der auf ihre Herkunft und Erfolg beachten Mutter sowie dem Staat auf den Ernst ihrer Standesvorstellung gewissermaßen geprüft, kann Hölderlin hier nicht genügen. Im Hochverratsprozess entzieht er sich durch ein ärztliches Zeugnis über seine Unzurechnungsfähigkeit. In der Folge wird seine Entmündigung und Zwangseinweisung in die Psychiatrie vorangetrieben. Die in eben dieser Thematik mitunter beklemmende Dokumentation der Ereignisse um die Behandlung, wirft ein kritisches Licht auf eine Psychiatrie die in der Behandlung von Geisteskrankheit überhaupt, sich als fortschrittlich verstand, jedoch auch noch keine Erfolge vorweisen konnte. Durch das Aufsetzen von Masken, übergießen mit großen Mengen eiskalten Wassers und weiteren unangenehmen Methoden, sollte die Wut des Patienten gerade provoziert werden, bei einem Fall wie Hölderlin, um durch permanentes Quälen den Willen allmählich zu zermürben und zu brechen. Er leidet folglich, wie ein Tier oder Objekt behandelt, bevor er als unheilbar entlassen wird.
Der Ruhm und das große Interesse für ihn, setzten erst circa 100 Jahre nach den soeben geschilderten Ereignissen in den Jahren nah 1800 ein.

Der zweite Beitrag erscheint wie ein Spiegel des ersteren. Nach der Kälte für heutiges Verständnis unmenschlicher Behandlung, nach kaltem Leiden ohne Auflösung, d.h. mit einem offenen Ende, folgt die Wärme einer Behaglichkeit, die eher den Charakter von Lokalkolorit, bzw. einer intimeren Geschichte häuslichen Zusammenlebens hat. Der Dichter erscheint hier nunmehr eingebunden in Beziehungen eines Schreiners, der Zimmer untervermietet an Studierende und wo der zunehmende Nachwuchs der Familie mit dem Dichter das Haus teilt. Hölderlins Temperament ist bekannt und insbesondere durch historische Quellen der späteren Pflegerin, rückt der Blick jenseits des Anspruchs der hohen Literatur und deren oft unablässigen Ernst, d.h. dem wenig Spaß gegönnt wird, im öffentlichen Auge, hin zu einem Dichter der keinen einsamen Turm bewohnt (wie mythisierend angenommen worden war), zwischen dem und der Welt und damit in gewisser Weise auch sich selbst zwar mitunter ein Verhältnis der Tobsucht besteht, jedoch auch Formen der Bindung und dem schamvollen Umgang miteinander bestehen.
Wer eine Lebensbeschreibung des ganzen Lebens Hölderlins, eine Einführung in dessen Dichtkunst, Hinführung zur historischen Wissenschaft der Abwägung von Zeugnissen und sich widersprechenden Deutungen erwartet, der könnte eher enttäuscht werden. Dafür liegt die Stärke des Hörbuchs mit dem thematischen Schwerpunkt von geistiger Zerrüttung und Pflege, in dem engeren lokalen Bezug und dem Einblick in das alltägliche Leben zu dieser Zeit.

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wunderbarer Text mit reichen Quellen

...schön, dass die Lotte Zimmer hiermit dem Vergessen entrissen ist!
Danach hat man Lust auf einen Besuch im Tübinger Turm und im Stuttgarter Hölderlin-Archiv.

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