In der Netflix-Serie "Shadow & Bone – Legenden der Grisha" trifft die Hauptprotagonistin Alina eine junge Verbrecherbande: Die sechs Krähen aus Ketterdam. Fans lieben die schrägen Außenseiter. Die Serienadaption vereint Handlung und Figuren aus den Romanreihen „Shadow and Bone“ und „Six of Crows“ von Leigh Bardugo, die bei uns "Legenden der Grisha" und "Glory or Grave" heißen. Die beiden "Six of Crows"-Bücher werden auch als die Krähen-Romane bezeichnet. Darin taucht die US-amerikanische Autorin tief ein in die Einzelschicksale dieser Außenseiter.
"Shadow & Bone": Die Hauptfigur Alina Starkow
Anders als in der Netflix-Serie steht in der "Legenden der Grisha"-Trilogie die verwaiste Alina Starkow im Mittelpunkt. Die junge Frau wächst in einem Fantasieland auf, das an das Russland des 19. Jahrhunderts erinnert.
Es ist die klassische Geschichte der Auserwählten, die sich der Macht der Dunkelheit stellen muss. Damit steht sie in der Tradition von "Harry Potter", "Eragon", "Percy Jackson", Paul Atreides aus "Dune" und Sonea aus "Die Gilde der Schwarzen Magier".
Die sechs Krähen: Eine Truppe moralisch flexibler Verbrecher
Mit Leigh Bardugos nächsten Romanen verhält es sich etwas anders.
Auch wenn die Serienproduzenten sich an beiden Reihen bedient haben: Der Krähen-Zweiteiler spielt zwar in der gleichen Welt, dem sogenannten Grishaverse, wurde aber chronologisch nach der Trilogie um Alina geschrieben.
Das Lied der Krähen ist Bardugos vierter Roman. Man merkt ihm an, dass sie sich als Autorin deutlich weiterentwickelt hat. Das Buch ist inhaltlich ambitionierter und stilistisch ausgereifter. "Entertainment Weekly" vergleicht es gar mit "Game of Thrones", das mit "Ocean's Eleven" gekreuzt wurde.
Game of Thrones trifft Ocean's Eleven
Tatsächlich war das auch Bardugos Inspiration für den Roman. Sie habe unbedingt eine Fantasy-Geschichte über einen atemberaubenden Einbruch schreiben wollen, erzählte sie in Interviews. Eine Geschichte über junge Menschen, weder auserwählt noch adelig, sondern Außenseiter, die mit allen Mitteln überleben wollen – ein bisschen wie die "Guardians of the Galaxy".
Und ein solches Team schart Kaz Brekker um sich. Er gilt trotz seiner gerade mal 17 Jahre als einer der gefährlichsten Bandenchefs im Untergrund der Hafenstadt Ketterdam. Seine Verbündeten sind die Spionin Inej, der Hexenjäger Matthias, der Scharfschütze Jesper, der in Ungnade gefallene Kaufmannsohn Wylan und die Grisha Nina.
Die Magie im Grishaverse
Als Grisha bezeichnet man jene Menschen, die übernatürliche Fähigkeiten besitzen. Sie können die Elemente beschwören, mit dem Geist heilen und töten; einige können sogar Licht und Schatten manipulieren.
Leigh Bardugo wollte ein Magiesystem erschaffen, in dem nicht alles möglich ist. Sie war daran interessiert, über Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten zu schreiben, die sich teilweise von der Weiterentwicklung technischer Errungenschaften bedroht fühlen könnten. Deshalb beschränkte Bardugo die Magie stark und unterwarf sie starren Regeln. Vielleicht ist dies auch der Grund, weshalb sie sie als „die Kleinen Künste“ bezeichnet.
Mit den Krähen selbst traf Bardugo den Nerv des Publikums. Nicht zuletzt wegen der hervorragenden Übersetzung landete Band eins in Deutschland auf der "SPIEGEL"-Bestsellerliste. 2018 wurde es mit dem Deutschen Phantastin Preis ausgezeichnet.
„Ich war sofort von den großartigen Charakteren und dem Dialogwitz zwischen ihnen gefesselt“, erinnert sich Natalja Schmidt, die Programmleiterin von Knaur Belletristik, die beide Krähen-Romane nach Deutschland holte. Ihr großes Abenteuer erleben die sechs Krähen, als sie beschließen, in eine als uneinnehmbar geltende Festung einzubrechen und einen Gefangenen zu befreien.
Intelligent, packend und divers
Die Krähen-Romane werden abwechselnd aus der Sicht der sechs Verbündeten erzählt. Aber anders als bei Sagas wie "Game of Thrones" bewegen diese sich nicht räumlich und emotional getrennt voneinander. Die Handlungsstränge greifen ineinander und bilden eine Einheit, die in atemberaubendem Tempo vorangetrieben wird. Das ist ungewöhnlich, spannend und absolut gelungen. Vor allem, weil die Figuren natürlich trotzdem unterschiedliche Motivationen, Ängste und Vorgeschichten haben, und diese von Leigh Bardugo meisterhaft in den Plot eingearbeitet werden.
Extrapunkte heimst die Autorin dafür ein, dass ihr Helden so divers sind – also alles andere als heteronormativ. Wer queere Fantasy mag, kommt ebenso auf seine Kosten wie Freunde von Charakteren unterschiedlicher ethnischer Herkunft.
Wodurch unterscheiden sich die Bücher von anderen Fantasy-Romanen? Knaur-Programmleiterin Natalja Schmidt sagt, dass für sie der Reiz des Grishaverse aus einer Kombination verschiedener Elemente entstehe. Sie schwärmt von den an die russische Geschichte angelegten Hintergrund und für das pulsierende, dreckige Ketterdam. Dazu komme das interessante Magiekonzept. Das Herzstück der Romane sind jedoch die Charaktere: Kaz und Inej, Nina, Jasper, Nikolai, Zoya, und natürlich auch der Dunkle, sind in ihrer Vielschichtigkeit die Hauptgründe, warum so viele Fans die Serie ins Herz geschlossen haben.
Mit welcher Romanreihe man beginnt, bleibt übrigens jedem selbst überlassen. Auch wenn die Serie anderes vermuten lässt, können beide Reihen unabhängig voneinander gelesen werden.
Noch mehr Grishaverse
Wer sich in Welt der Grisha verliebt hat, für den gibt es nach den beiden Romanreihen weitere Lektüre von Leigh Bardugo:
Mit Die Sprache der Dornen schuf die Autorin einen wunderbaren Kurzgeschichtenband. Ihre märchenhaften Geschichten aus unterschiedlichen Regionen der Grisha-Welt werben um Verständnis für unterschiedliche Kulturen. In den magischen und spannenden Fabeln tummeln sich sprechende Tiere, clevere Mädchen, Ungeheuer, Meerjungfrauen und Hexen.
"Das Leben der Heiligen" erschien 2021 als Begleitbuch zur Netflix-Serie. Es beinhaltet Sagen und Legenden aus dem Grishaverse. Die Grishaverse-Protagonistin Alina schöpft daraus in schwierigen Situationen Kraft und Trost.
Ein abschließender Zweiteiler beginnt mit "King of Scars: Thron aus Gold und Asche". Er setzt sowohl die Alina-Trilogie als auch die Krähen-Reihe fort. Ab hier ist es wirklich ratsam, die vorangegangenen Bücher zu kennen. Band zwei, "Rule of Wolves: Thron aus Nacht und Silber", bildet den Abschlussband der großen Grishaverse-Saga. Oder? Leigh Bardugo mag Geschichten, die Hintertürchen offenlassen, wie sie im exklusiven Audible-Interview verriet. Wer weiß. Vielleicht kehrt sie durch eine Tür irgendwann wieder in die fantastische Welt der Grisha und der Krähen zurück.