Deutscher Buchpreis 2023: Gewinner und Longlist-Titel

Deutscher Buchpreis 2023: Gewinner und Longlist-Titel

Der Deutsche Buchpreis zählt zu den bekanntesten und, neben anderen wie dem Georg-Büchner-Preis, zu den renommiertesten deutschen Literaturpreisen. Auch dieses Jahr haben Verlage besonders vielversprechende Werke bei der Jury eingereicht.

Wer hat den Deutschen Buchpreis 2023 gewonnen?

hat mit seinem Roman Echtzeitalter den Deutschen Buchpreis 2023 gewonnen. Der in Neu-Delhi geborene 31-jährige Wiener hat es bereits 2019 mit seinem Debütroman „Nicht wie ihr“ auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft.

Till Kokorda ist erst 15 Jahre alt, gehört aber bereits zu den weltweit besten Spielern des Echtzeit-Strategiespiels „Age of Empires 2“. Doch Gaming ist für den jungen Mann, der in Wien das Eliteinternat Marianeum besucht, mehr als ein Hobby. Denn sein knallharter Klassenvorstand Dolinar macht den Schülern, allesamt Teil der österreichischen Oberschicht, das Leben zur Hölle und trimmt sie auf Effizienz und Leistung. Nach dem Tod seines Vaters ist das Gamen für Till eine Flucht aus dem Alltag.

Als Mitglied einer privilegierten Klasse muss er sich keine Sorgen machen, dass er tief fallen wird. Doch er hat genug – vom täglichen Drill, den Lehrern mit ihren antiquierten Vorstellungen, den ahnungslosen, reaktionären Mitschülern und überhaupt: dem konservativen, unreflektierten Oberschichtsmilieu. All das thematisiert Schachinger in seinem Coming-of-Roman. Darin verabschiedet sich der Protagonist nach und nach von kindlichen Vorstellungen von der Welt und seinem abwesenden Vater. Unterhaltsam, stellenweise lustig und ein interessanter Einblick in das österreichische Oberschichtsmilieu.

Mehr als Bachmann und Handke:

Was ist der Deutsche Buchpreis?

Der Deutsche Buchpreis wird seit 2005 jährlich im Rahmen der Leipziger Buchmesse vergeben. 20 Werke ganz unterschiedlicher Autorinnen und Autoren haben es dieses Jahr in das erste Auswahlverfahren der Jury und damit auf die sogenannte Longlist geschafft. Im weiteren Vergabeprozess wird aus der Longlist eine Shortlist mit sechs Finalistinnen und Finalisten. Den Gewinner oder die Gewinnerin des Deutschen Buchpreises erwartet ein Preisgeld von 25.000 €, während die fünf weiteren Nominierten jeweils 2.500 € erhalten. Der Preis wird von verschiedenen Literaturexpertinnen und -experten vergeben, 2023 zum Beispiel von Publizistin und Journalistin Shila Behjat und von Buchblogger und Buchhändler Florian Valerius. 2022 ging der Preis an „“ von Kim de l'Horizon, 2021 an Blaue Frau von Antje Rávik Strubel.

2023 standen sowohl Titel bereits bekannter und vielfach ausgezeichneten Autorinnen und Autoren als auch Werke von talentierten Newcomern auf der Longlist. Gewalterfahrungen, Verluste in der Kindheit oder das Aufwachsen in unterschiedlichsten Lebensumständen sind einige der Themen, die dieses Jahr in den Romanen der Nominierten aus der eine Rolle spielen. Wir stellen sechs Werke vor, die 2023 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises standen und die als Hörbuch bei Audible verfügbar sind.

Rückblick: Buchpreis-nominierte Werke, die die Kindheit aufarbeiten

2004 erschien „Aus allen Himmeln“. In dem in kleiner Auflage veröffentlichten Erzählband arbeitet ihre von Gewalterfahrungen und Armut geprägte Kindheit in der ehemaligen DDR auf. Doch die 64-Jährige ließ in ihrem Band inhaltliche Lücken. Im Vorwort zu Risse, ihrem neuen, 2023 erschienenen autofiktionalen Roman, schreibt sie:

Ich hatte [in ‚Aus allen Himmeln‘] die Wahl, genau die Sätze zu schreiben, die ich schreiben wollte. Warum habe ich dennoch Ereignisse ausgelassen oder falsch beschrieben? Es gibt keine Wunden, die nicht verheilt wären, doch es gibt Leerstellen, die ich bis heute nicht zu betreten wagte. (Angelika Klüssendorf, Risse)

Und genau diese Leerstellen versucht die gebürtige Ahrensburgerin in Risse zu füllen. Hierzu kommentiert sie die 2004 erschienenen Kurzgeschichten, in denen sie unter anderem die zerrüttete Ehe ihrer Eltern, Heimaufenthalte und Gewalterfahrungen thematisiert und korrigiert sie, wo nötig. Der Grund, aus dem die Autorin jetzt den vor fast 20 Jahren erschienenen Band noch einmal angefasst und einen erneuten Blick auf die schmerzliche Vergangenheit geworfen hat? Klüssendorfs Mutter ist nun tot, gestorben im Alter von 84 Jahren. Nach der Lektüre von „Aus allen Himmeln“ warf sie der Autorin vor: „[D]u hast schon immer gelogen.“

Grund genug für die Autorin, jetzt eine schonungslos ehrliche Rückschau zu betreiben, sich selbst im Nachgang zu korrigieren, oder mehr über ihre Gefühle zu schreiben, wo ihr das beim ersten Mal nicht gelang. Eine Aufarbeitung traumatischer Ereignisse, die es schafft, zu berühren und die schockiert, ohne in Klischees zu verfallen. Ein wichtiges Buch.

DDR-Romane:

Ein weiteres Roman-Debüt, das es auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat, ist Vatermal von . In ruhigem Ton erzählt der Theaterautor von der Suche seines Protagonisten Arda nach einer Vaterfigur, nach Geborgenheit und Schutz in der von Kälte geprägten deutschen Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in die Arda als Kind türkischer Migranten zwar hineingeboren wurde, aber in der er sich nicht zuhause fühlt. Für den jungen Literaturstudenten ist die Zeit gekommen, um zurückzublicken und zu reflektieren. Denn Arda stirbt an Organversagen.

Auf dem Totenbett hält er in einem Brief an seinen Vater Metin fest, wie anders sein eigenes Leben, aber auch das seiner labilen und suchtkranken Mutter Ümran, die Arda und seine Schwester Aylin allein großgezogen hat, hätte verlaufen können. Denn der Vater hat die Familie verlassen, um sich in der Türkei ein neues Leben mit einer anderen Frau aufzubauen. Als Kind der dritten Generation macht Arda trotz schwieriger Lebensumstände sein Abitur, studiert Literaturwissenschaft und beginnt, Männlichkeitsbilder zu hinterfragen. Wer wäre er geworden, wenn der Vater Teil seines Lebens gewesen wäre? Er schreibt an seinen Vater:

Nachahmung oder Abgrenzung. Du wärst der Maßstab gewesen, an dem ich und alle anderen mich gemessen hätten, und vermutlich wäre ich dann nie ich geworden, sondern würde jetzt irgendeine Ingenieursscheiße studieren, würde in Fußballtrikot und Sonnenbrille in tiefergelegten Autos flexen und selbstbewusst lächeln. (Necati Öziri, Vatermal)

An Ardas Krankenbett erzählen auch Aylin und Ümran ihre Geschichten und davon, wie sie das Leben in Deutschland verändert hat. Ein Leben, das von ständigen Behördengängen und dem Warten auf eine deutsche Staatsbürgerschaft geprägt war. So haben Ümrans Eltern nach einem schweren Erdbeben in der Türkei alles verloren.

Als Gastarbeiter sind sie nach Deutschland gekommen, um ein neues Leben zu beginnen. Ümrans Tochter Aylin sollte es besser haben als sie selbst. Doch obwohl sie sich bemüht, streiten die beiden ständig – so lange, bis Aylin von zuhause wegläuft und in einer Pflegefamilie unterkommt. ist mit Vatermal eine radikal ehrliche, bildhaft erzählte Familiengeschichte gelungen. Tiefgründig, schmerzhaft, intensiv.

Coming-of-Age: Unterschiedliche Wege ins Erwachsenenalter

Der „Paradise Garden“ ist der größte Eisbecher, den man im Eiscafé Venezia bestellen kann. An einem heißen Sommertag spendiert ihre Mutter Billie, die eigentlich Erzsébet heißt, genau diesen. Billies Mutter ist in Ungarn, nahe Budapest auf dem Land aufgewachsen. In einem Haus, das ihr Vater, der früh an Krebs starb, mit seinen eigenen Händen gebaut hat.

In Deutschland lebt Billie mit ihrer Mutter im 17. Stock eines Wohnblocks am Stadtrand, eine Gegend, über die sie sagt:

Da, wo wir wohnen, hatten die meisten Leute das Wort ‚gewinnen‘ längst aus ihrem Wortschatz gestrichen. (Elena Fischer, Paradise Garden)

Und trotzdem passiert Billie und ihrer genau das: Sie gewinnen. Endlich können die beiden sich das leisten, was für die Frau mit zwei schlechtbezahlten Jobs und ihre Tochter, die gern Schriftstellerin werden möchte, bislang ein unerfüllbarer Traum war: einmal in den Urlaub fahren.

Ihre Mutter zieht es nach Florida, oder, weil das viel zu teuer ist, wenigstens nach Frankreich. Billie will überall hin, wo das Meer ist. Wenn es sein muss, sogar an die Nordsee. Denn vom Meer träumt sie oft, zum Beispiel, wenn sie die Augen schließt und sich vorstellt, dass das Vorbeirauschen der Autos unten vor dem Wohnblock Meeresrauschen wäre. Doch dann reist Billies Großmutter aus Ungarn an – und alles verändert sich …

Paradise Garden ist Elena Fischers Debüt. Ein lebendig erzählter und Road-Trip-Roman, der Trauer, Diskriminierung und Klassenunterschiede auf feinfühlige Weise anspricht. Poetisch, fesselnd, spannend.

Let’s get out of here:

Zurück in die Vergangenheit: Neue Perspektiven auf Kriegsjahre

Wien, 1914. Der erste Weltkrieg steht kurz bevor. Der 17-jährige Bauernknecht Hans hat eine ungewöhnliche Gabe. Er denkt, was andere kurz danach aussprechen. Sein größter Wunsch ist es, dieses seltene Talent von Psychoanalytikerin Helene Cheresch bewerten zu lassen. Dafür schlägt er sich aus der Provinz nach Wien durch. Der aus einfachen Verhältnissen stammende Hans ist geblendet vom Hedonismus und Glanz der Hauptstadt und gleichzeitig abgestoßen vom parallel dazu existierenden Elend. Kurz vor der Mobilmachung findet er Anschluss zu Menschen, die ganz anders sind als er selbst – dem Adeligen Adam und Klara, die als erste Frau an der Universität Wien in Mathematik promovieren wird.

„Inkommensurable“ sind Maße, die keinen rationalen Bezug zueinander haben. In Die Inkommensurablen setzt , die mit ihrem Debüt „Das flüssige Land“ schon 2019 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand, diese nicht zueinanderpassenden Maße in Bezug zur kollektiven Psyche einer Gesellschaft, die kurz davorsteht, ein Kriegstrauma zu erleiden. Ein letztes Mal verliert sich die Österreichische Gesellschaft im Rausch … Anspruchsvoll, experimentell, vielschichtig.

Was, wenn wir gar nicht auf der Erde, sondern in ihr leben würden? Wenn die Erde nicht Teil des Universums wäre, sondern ein ganz eigener Kosmos? Dass die Erde hohl ist und die Menschen ihr Inneres bevölkern, davon war zu Beginn des 20. Jahrhunderts der US-amerikanische Arzt Cyrus Reed Teed, genannt Koresh, überzeugt. Und auch Peter Bender, Protagonist in Monde vor der Landung von . Bender, durch seine Erfahrungen im ersten Weltkrieg schwer traumatisiert, hetzt nach Kriegsende das Volk auf. Er entwickelt auf der Suche nach einem neuen Lebenssinn, der ihm durch die Kriegserlebnisse verloren gegangen ist, eine Faszination für den Kosmos und insbesondere für den Mond. Er ist überzeugt: Die von Koresh propagierte Hohlwelttheorie ist hieb- und stichfest.

Die Regierung droht Bender, ihn „ins Irrenhaus“ zu stecken, weil er Verschwörungstheorien propagiert. Seine Frau Charlotte, Jüdin, bleibt trotz Benders Andersartigkeit an seiner Seite und ist stets loyal. Auch, als Bender immer wieder Affären hat und sich die politische Lage nicht nur in Worms, der Heimatstadt des Paares, sondern in ganz Deutschland immer weiter zuspitzt. Der Antisemitismus ist eine Gefahr, die Bender – übrigens eine Person, die wirklich existiert hat – aufgrund seiner Traumtänzerei zu spät erkennt … Ein Werk mit einem schräg-egozentrischen Protagonisten, das voll philosophischer Feinheiten steckt.

Zwischen Fakt und Fiktion:

Alle für den Deutschen Buchpreis 2023 Nominierten

Name

Nominierter Roman

Erscheinungsdatum

Tomer Dotan-Dreyfus

Birobidschan

Februar 23

Januar 23

Sherko Fatah

Der große Wunsch

August 23

Elena Fischer

August 23

Charlotte Gneuß

Gittersee

August 23

Luca Kieser

Weil da war etwas im Wasser

August 23

August 23

Sepp Mall

Ein Hund kam in die Küche

August 23

Muna oder Die Hälfte des Lebens

August 23

Thomas Oláh

Doppler

Februar 23

Angelika Overath

Unschärfen der Liebe

April 23

Juli 23

Kochen im falschen Jahrhundert

Februar 23

Anne Rabe

Die Möglichkeit von Glück

März 23

Kathrin Röggla

Laufendes Verfahren

Juli 23

März 23

Maman

Februar 23

Februar 23

Tim Staffel

Südstern

September 23

Ulrike Sterblich

Drifter

Juli 23

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Der Deutsche Buchpreis zählt zu den wichtigsten Literaturpreisen Deutschlands. Dieses Jahr standen ganz unterschiedliche Titel aus der Kategorie auf der Longlist – darunter Werke, die aufrütteln, schockieren, neue Einblicke liefern und gleichzeitig bestens unterhalten. Bei Audible findest du viele weitere anspruchsvolle Werke renommierter Autoren oder talentierter Jung-Autoren. Falls du Audible noch nicht ausprobiert hast: Im  streamst du unbegrenzt tausende von Hörbüchern, Hörspielen und Original Podcasts. Zusätzlich erhältst du einen kostenlosen Titel, den du für immer behalten kannst.