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Transhumanismus: Vom Traum, zum Cyborg zu werden

Transhumanismus: Vom Traum, zum Cyborg zu werden

Hightech-Prothesen machen Menschen leistungsfähiger, Nanobots halten den Körper ewig jung und eine allgegenwärtige Super-KI lenkt die Geschicke der Welt – das klingt nach Science-Fiction, ist aus Sicht der Vertreter des Transhumanismus aber durchaus realistisch. Und das in gar nicht allzu ferner Zukunft.

Was bedeutet Transhumanismus?

Der Transhumanismus ist eine philosophische Denkrichtung und aktive Bewegung, die eine Verbesserung des Menschen durch technologischen Fortschritt anstrebt. Die Technologie würde demnach zunehmend die Möglichkeiten des Menschen erweitern, bis letztlich die natürlichen Grenzen – sogar der Tod – vollends überwunden werden können. Eng verwandt mit dem Transhumanismus ist der Posthumanismus, teilweise werden beide Begriffe synonym verwendet. Caroline Helmus fasst die transhumanistischen Positionen wie folgt zusammen:

„Der Transhumanismus (…) stellt eine interdisziplinäre Bewegung dar, die der philosophischen Prämisse folgt, dass die menschliche Verfassung durch technologische Transformation die biologisch inhärenten Grenzen des Daseins ausweiten und derart posthumanes Leben erschaffen werden kann.“

Caroline Helmus (2020): Transhumanismus – der neue (Unter-)Gang des Menschen? (S. 19)

Zugegeben, eine solche Definition des Transhumanismus mag zunächst abstrakt klingen. Doch die Vertreter des Transhumanismus haben sehr konkrete Vorstellungen davon, was uns in Zukunft erwarten könnte. Einer von ihnen ist Ray Kurzweil, Technik-Chef bei Google und einer der bekanntesten Transhumanisten.

Optimierung des Körpers: Gentechnik, Hightech-Organe und Nanobots

Kurzweil prognostiziert beispielsweise revolutionäre Fortschritte in der Medizin: Schon bald wird es möglich sein, Organe zu klonen, um sie bei Bedarf einfach auszutauschen. Injektionen geklonter Zellen könnten sich darüber hinaus als Jungbrunnen erweisen. Vor allem aber sieht Kurzweil, wie viele Transhumanisten, eine große Chance in technischen Ergänzungen, die mit dem menschlichen Körper verschmelzen – was Menschen zu Cyborgs machen würde.

Neben künstlichen Organen, die viel effizienter arbeiten könnten als ihre biologischen Vorläufer, ist in diesem Zusammenhang das Potenzial von Robotik und Nanotechnologie besonders interessant: Winzige Nanobots in unserer Blutbahn könnten nicht nur sämtliche Viren und Bakterien erfolgreich bekämpfen, sondern auch Herzinfarkten und Schlaganfällen vorbeugen und beschädigte Zellen reparieren. All dies würde Menschen gesünder und leistungsfähiger machen und die Lebenserwartung immens erhöhen. Dabei ist diese Optimierung des menschlichen Körpers für Transhumanisten erst der Anfang.

Das Unsterblichkeitsprogramm 1

Brain-Computer-Interface: Per Upload zur Unsterblichkeit

Auch Elon Musk gilt als Anhänger des Transhumanismus. Eines seiner Unternehmen, Neuralink, arbeitet seit 2016 an der Entwicklung von Brain-Computer-Interfaces. Doch Musk ist nicht der Einzige, der am „Chip im Kopf“ forscht. Ziel dieser Forschungen ist es zunächst einmal, Menschen mit Krankheiten und Einschränkungen, etwa einer Querschnittslähmung, zu helfen. Doch sollte es gelingen, den menschlichen Geist umfassend mit einem Computersystem zu verbinden, eröffnen sich viele weitere Möglichkeiten.

Wir könnten nicht nur technische Geräte via „Gedankenkraft“ bedienen, sondern auch neue Fähigkeiten – Klavier spielen, Chinesisch sprechen – in Sekundenschnelle erlernen oder unseren Geist mit dem anderer oder mit dem Internet verbinden. Die Grenzen zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz würden so zunehmend verschwimmen, bis hin zum Upload des Bewusstseins in ein Computersystem. Dies würde die vollkommene Unabhängigkeit vom menschlichen Körper bedeuten und wäre damit ein Schlüssel zur Unsterblichkeit.

Künstliche Intelligenz

Die Singularität: Alles wird anders – vielleicht schon bald

Sind all das Szenarien für eine weit entfernte Zukunft? Keineswegs, zumindest nach Ansicht Ray Kurzweils, was schon der Titel seines Buches „The Singularity Is Near“ verrät. Er geht davon aus, dass viele von uns den Wandel hin zum Posthumanen selbst miterleben werden. So verortet er die revolutionären Umbrüche in der Medizin in den 2030er-Jahren. Schon ungefähr im Jahr 2045 rechnet Kurzweil mit der sogenannten Singularität – dem großen Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte, an dem eine allumfassende Superintelligenz die Kontrolle übernimmt.

Was ist Singularität?

Als technologische Singularität wird der Zeitpunkt bezeichnet, an dem die künstliche Intelligenz die menschliche so weit übertrifft, dass sie sich völlig unabhängig von uns weiterentwickeln kann. Intelligente Maschinen würden dann in rasantem Tempo neue Technologien hervorbringen, die unsere Vorstellungskraft bei Weitem übersteigen. Entsprechend ist von diesem Moment an nicht abzusehen, wie sich die weitere Zukunft der Menschheit entwickeln wird. Innerhalb des Transhumanismus ist Glaube an die Möglichkeit einer solchen Singularität eine Unterströmung, deren vermutlich bekanntester Vertreter Ray Kurzweil ist.

The Singularity Is Near

Dass all dies schon in wenigen Jahrzehnten geschehen soll, mag unglaublich klingen. Kurzweil verweist jedoch darauf, dass sich die technologische Evolution exponentiell beschleunigt: Während es in früheren Zeiten alle paar Jahrhunderte eine bemerkenswerte Neuerung gab, gibt es heute jedes Jahr mehrere bahnbrechende Innovationen und das Tempo der Entwicklung nimmt weiter zu. Wer sich vor Augen führt, wie stark sich unser Alltag in den letzten 30 Jahren durch Technologie verändert hat, kann erahnen, was uns in den nächsten 30 Jahren – bei exponentieller Beschleunigung dieser Entwicklung – erwarten könnte. Ein faszinierender Gedanke, aus Sicht der Kritiker des Transhumanismus aber auch ein sehr beängstigender.

Ist der Transhumanismus die gefährlichste Idee der Welt?

Von Francis Fukuyama stammt die viel zitierte Einschätzung, der Transhumanismus sei „die gefährlichste Idee der Welt“. Das würden überzeugte Transhumanisten so wahrscheinlich nicht unterschreiben. Aber selbst Ray Kurzweil thematisiert auch die Risiken des Transhumanismus. So könnten beispielsweise die winzigen medizinischen Nanobots außer Kontrolle geraten und schlimmstenfalls die ganze Menschheit auslöschen. Ähnlich düster sind die Prognosen des schwedischen Philosophen Nick Bostrom, der sich mit den Gefahren des technologischen Fortschritts befasst. Das Erschaffen einer uns Menschen weit überlegenen künstlichen Superintelligenz ist laut Bostrom vor allem ein existenzielles Risiko.

Superintelligence

Und selbst wenn wir das Worst-Case-Szenario – die Vernichtung der Menschheit durch außer Kontrolle geratene Technologie – außen vorlassen, braucht es nur wenig Fantasie (oder den Blick ins Science-Fiction-Regal), um sich auszumalen, wie Gentechnik, Nanotechnologie oder KI missbraucht werden könnten und welche unerwünschten Nebenwirkungen der Fortschritt für den Einzelnen oder die Gesellschaft haben könnte. Und überhaupt: Ist nicht schon das Menschenbild des Transhumanismus an sich fragwürdig? Müssen wir Menschen überhaupt immer besser werden?

Die Herrschaftsformel

Oder sind wir längst Anhänger des Transhumanismus?

Andererseits, bei aller Kritik am Transhumanismus: Seine scheinbar radikalen Ansätze ähneln bei näherer Betrachtung vielen Prinzipien unseres Alltags. Im Transhumanismus werden sie konsequent zu Ende gedacht werden. Selbstverbesserung in Form von Persönlichkeitsentwicklung liegt schon lange im Trend, und unter dem neuen Schlagwort Biohacking rückt die gezielte Optimierung von Körper und Geist auch sprachlich an den Transhumanismus heran. Beim Bestreben, immer effizienter zu werden, nutzen wir zudem längst bereitwillig technische Hilfsmittel. Das Smartphone mag (noch) nicht physisch mit unserem Körper verbunden sein. Ein Leben ohne ist trotzdem für viele kaum noch vorstellbar.
So wie viele transhumanistische Ideen wie Visionen aus einer fernen Zukunft erscheinen, obwohl die grundlegenden Technologien bereits entwickelt werden, so ist es auch beim Thema Ethik und Transhumanismus schwer, klare Grenzen so ziehen. Oft reicht schon ein Wechsel des Blickwinkels: „Wärst du gern ein Cyborg?“, dürfte außerhalb von Transhumanisten-Kreisen eine bizarre Frage sein, auf die standardmäßig mit Nein geantwortet wird. Doch, je nach Definition, ist jeder Mensch, in dessen Körper technische Geräte integriert sind, ein Cyborg – und die Frage „Würdest du dir, falls medizinisch notwendig, einen Herzschrittmacher implantieren lassen?“ würden vermutlich die meisten bejahen. Vielleicht stehen wir dem Transhumanismus also schon viel näher, als wir ahnen.

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