Schule zu – Laune im Keller. Wie schnell und wie deutlich sich der Lockdown im Frühjahr 2020 auf die Psyche von Kindern auswirkte, hat selbst Experten überrascht.
„Die meisten Kinder und Jugendlichen fühlen sich belastet, machen sich vermehrt Sorgen, achten weniger auf ihre Gesundheit und beklagen häufiger Streit in der Familie“, fasste Ulrike Ravens-Sieberer, Leiterin der COPSY-Studie, die Ergebnisse im Juli 2020 zusammen. Das Risiko für psychische Auffälligkeiten sei von 18 Prozent vor Corona auf 31 Prozent gestiegen.
Nun gehören Krisen leider zur Grundausstattung des Lebens. Und sie gehen nicht spurlos an uns vorüber: Angst, Krankheit, Einsamkeit – solche Stressoren beeinflussen die Entwicklung des kindlichen Gehirns und können langfristige Folgen haben. Das ist die schlechte Nachricht. Wie im Extremfall sogar noch nachfolgende Generationen unter schwierigen oder gar traumatischen Erlebnissen leiden, stellt die Neurobiologin und Psychologin Nicole Strüber in ihrem kenntnisreichen Buch Risiko Kindheit dar.
Die gute Nachricht aber ist: Gegen Krisen ist ein Kraut gewachsen. Es heißt Resilienz – und sorgt dafür, dass Menschen sich auch nach heftigen Schicksalsschlägen wieder aufrappeln und ihr Leben beherzt fortsetzen. Wie der Löwenzahn, der mit ein wenig Licht und Wasser selbst in einer Asphaltritze wächst und blüht.
Was ist Resilienz?
Das Wort Resilienz beschreibt die psychische Widerstandskraft. Wie der Körper hat auch die Seele eine Art Immunsystem, das Menschen befähigt, mit belastenden Erfahrungen fertig zu werden. Dieser Schutzschild ist nicht einfach serienmäßig eingebaut – er entsteht im Austausch mit anderen und mit der Umwelt. Er kann stärker werden oder auch Löcher bekommen. Resilienz ist erlernbar - das konnten Forscher eindeutig nachweisen.
Die amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy Werner war die Erste, die sich intensiv mit dem Thema Resilienz auseinandersetze. 40 Jahre lang beobachtete sie für eine Längsschnittstudie 698 Kinder, die auf der Hawaiinsel Kaua‘i unter schwierigen Umständen aufwuchsen. Dabei stellte sie fest, dass etwa ein Drittel der untersuchten Kinder trotz Armut, Krankheit oder Gewalterfahrungen zu gesunden und glücklichen Erwachsenen heranwuchs. Diese Kinder bezeichnete sie als besonders resilient.
"Wir sind in einem Maß reprogrammierbar, wie es sich die Resilienzpioniere nicht einmal vorstellen konnten. Wir sind dynamische Systeme; wir können uns verändern."
Ann Masten, Professorin am Institut für Kinderentwicklung der Universität von Minnesota
Wie stark die Resilienz eines Kindes ausgeprägt ist, hängt von persönlichen Faktoren ab (etwa Intelligenz, Erziehung, Emotionalität), von Umwelteinflüssen (wie dem sozialen Netzwerk, dem Familienzusammenhalt oder dem schulischen Umfeld) und weiteren, sogenannten „Prozessfaktoren“ (wie Akzeptanz, Problemlösungsorientierung, Ausgeglichenheit). Wie sehr etwa die Kultur eines Landes dazu beiträgt, dass Kinder zu resilienten Erwachsenen werden, hat die amerikanische Kolumnistin Jessica Joelle Alexander in ihrem Buch herausgearbeitet.
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Welche Faktoren fördern die Resilienz von Kindern?
Während Eltern auf die Umwelt und die persönlichen Eigenschaften nicht immer Einfluss haben, prägen sie die Prozessfaktoren maßgeblich mit. Konkret haben die Resilienz-Forscher Maike Rönnau-Böse und Klaus Fröhlich-Gildhoff sechs Eigenschaften identifiziert, die sie „Resilienzfaktoren“ nennen. Diese sind:
Positive Selbstwahrnehmung
Selbststeuerungsfähigkeit
Selbstwirksamkeitsüberzeugung
Problemlösekompetenz
Soziale Kompetenzen
Angemessener Umgang mit Stress
Wo Eltern diese Fähigkeiten fördern, stärken sie also zugleich den seelischen Schutzschild ihrer Kinder. Das ist eine gute Nachricht für alle, die sich gerade überlegen, wo sie noch ein paar Übungen zur Resilienzförderung in den übervollen Terminkalender pressen könnten.
Wie können Eltern die Resilienz ihrer Kinder stärken?
Hat ein Kind eine positive Selbstwahrnehmung, hält es sich nicht etwa für einen Superhelden – es kennt vielmehr seine Stärken und Schwächen und kann sich selbst reflektieren. Diese wichtige Entwicklung beginnt im Kindergartenalter. Eltern tragen zu ihr bei, indem sie ihre eigenen Gefühle in Worte kleiden und auch ihr Kind dazu ermutigen. Gespräche über Erfolge und Misserfolge helfen dem Nachwuchs dabei, sich selbst besser kennenzulernen. Welche Rolle Konflikte, Grenzen, Lob und Kritik in diesem Entwicklungsprozess spielen, erklärt die Familienberaterin Britta Kolbe in aller Kürze in ihrem hilfreichen Ratgeber Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl bei Kita-Kindern.
Dürfen Kinder Wut, Trauer oder Angst äußern, dann gelingt es ihnen auch leichter, diese Gefühle selbständig zu regulieren. Kinder, deren Selbststeuerungsfähigkeit nicht so ausgeprägt ist, brauchen Strategien zur Selbstberuhigung. Je nach Temperament kann das Kuscheln oder Boxen sein, Malen oder wildes Herumtoben. Mit Empathie und Reflexionsbereitschaft finden Eltern heraus, was speziell ihrem Kind in schwierigen Phasen guttut. Wie das gelingt, dazu hat die Bestseller-Autorin und Psychologin Stephanie Stahl mit Unterstützung ihrer Kollegin Julia Tomuschat ein so einfühlsames wie alltagsnahes Buch geschrieben.
Angst bei Kindern - Ratgeber und Kinderbücher
Mangelnde Resilienz trotz optimaler Startbedingungen?
Mangelnde Resilienz entsteht in unserer Gesellschaft dagegen durch Überbehütung gepaart mit unzureichender Wertevermittlung. Das ist jedenfalls das Fazit der amerikanischen Psychologin Wendy Mogel. Sie beobachtete, dass Kinder aus gutgestellten Mittelschichtsfamilien trotz ihrer privilegierten Lebensumstände an Ängsten, Unsicherheiten und Antriebshemmungen leiden. Weil ihre Eltern ihnen zu viel abnehmen, zweifeln diese Kinder an ihrer Selbstwirksamkeit.
Kinder, die sich als selbstwirksam erleben, haben dagegen die Erfahrung gemacht, dass sie auch schwierige Situationen aus eigener Kraft bewältigen können. Sie haben eine ausgeprägte Problemlösekompetenz, wissen also, mit welcher Strategie sie zum Erfolg gelangen. Wie Eltern die Selbstwirksamkeit ihres Kindes stärken – und nicht mit weit verbreiteten, aber wenig hilfreichen Erziehungsstrategien sabotieren – damit beschäftigte sich der berühmte dänischen Familienpädagogen Jesper Juul ein Leben lang. Sein Grundlagenwerk Dein kompetentes Kind liefert hierzu zahllose anschauliche Beispiele aus der Praxis.
Soziale Kompetenz wird Kindern in die Wiege gelegt und sie üben sie tagtäglich – im Zusammensein mit Erwachsenen, besonders aber im Spiel mit anderen Kindern. Der Hirnforscher Gerald Hüther und der Philosoph Christop Quarch nennen das Spiel gar „die schönste Pflanze der abendländischen Kultur“. Ihr flammendes Plädoyer richtet sich gegen Perfektionismus, Effizienzwahn und Kommerzialisierung. Es liefert interessante und tiefgründige Denkanstöße, dafür aber weniger praktische Tipps.
Ein angemesser Umgang mit Stress fällt immer mehr Menschen schwer, auch Kindern. Wenn die Stresshormone Polka tanzen, hilft Bewegung in der Natur. Ist die Zeit knapp oder das Wetter mies, sind angeleitete Meditationen eine tolle Alternative. Sie helfen beim bewussten Entspannen und sorgen dafür, dass Kinder leichter in den Schlaf finden.
Ab ins Traumland: Fantasiereisen und Meditation für Kinder
Resilienzförderung? Bei artgerechter Haltung nicht nötig
Nicht zu streng, aber auch nicht zu lasch, nicht zu fordernd und auf keinen Fall überbehütend – Kindererziehung scheint immer mehr einem Drahtseilakt zu gleichen, bei dem Eltern nur abstürzen können. Wer vor lauter Meinungen, Tipps und guten Ratschlägen nicht mehr durchblickt, dem rät der Kinderarzt und Wissenschaftler Herbert Renz-Polster: Betrachtet euer Kind aus der Perspektive der Evolution. Denn von dieser Warte aus lösen sich viele Widersprüche auf, die sich aus den kontroversen Meinungen der Erziehungsexperten zwangsläufig ergeben. Sein Plädoyer für eine artgerechte Erziehung ist schon jetzt ein zeitloser Klassiker.
Resilienz fördern? Check. Was kommt als nächstes?
Kompetente Hilfe für jede Lebensphase finden Eltern auch in diesem Familienratgebern. Weitere hilfreiche Bücher rund um das Thema Kinder und Erziehungsstile finden Eltern hier.