Seit Goethe mit „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ den Bildungsroman schlechthin vorlegte, hat sich dieses Genre stetig entwickelt und erweitert. Auch in modernen Entwicklungsromanen und zeitgenössischen Coming-of-Age-Geschichten verfolgen wir mit Spannung, wie die Protagonisten an ihren Herausforderungen wachsen. Denn der Bildungsroman greift eine zutiefst menschliche Erfahrung auf und fesselt uns deshalb besonders.
Das Leitmotiv in "Wilhelm Meisters Lehrjahre" wirkt selbst über 200 Jahre nach seiner Veröffentlichung erstaunlich modern: Ein junger Mann bricht aus der bürgerlichen Enge des Elternhauses aus, um als Mitglied einer Theatertruppe das wahre Leben kennenzulernen. Ähnliche Motive finden wir in vielen zeitgenössischen Entwicklungsromanen. Die Hauptfigur verliert ihre Geborgenheit oder macht sich auf die Suche, um Antworten auf die Fragen des Lebens zu finden. Dabei wächst sie an vielen Herausforderungen. Hier haben wir die besten Hörbücher des Genres zusammengestellt.
Die besten Bildungsromane als Hörbücher
Seit Goethe den Prototyp des Bildungsromans vorgelegt hat, werden Geschichten dieser Art immer wieder neu erzählt. Teils fließen dabei ganz persönliche Erfahrungen der Autoren ein, so dass der klassische Entwicklungsroman oder die moderne Coming-of-Age-Story autobiografische Züge bekommt.
Zeitgenössische Entwicklungsromane: bewegend und berührend
In modernen Entwicklungsgeschichten meistern die Protagonisten die großen Herausforderungen des Lebens. Sie bewegen uns besonders, weil wir die Höhen und Tiefen auf ihrem Weg zu sich selbst hautnah miterleben.
Einen Bildungsroman im wahrsten Sinne des Wortes schrieb Tara Westover mit Befreit: Wie Bildung mir die Welt erschloss. Darin schildert sie ihre Kindheit unter streng gläubigen Mormonen inmitten der grandiosen Natur ihrer US-amerikanischen Heimat Idaho. Schon als Kind beginnt sie, das große Misstrauen und die Angst vor Außenstehenden zu hinterfragen, die sie bei ihrem strengen Vater beobachtet. Erst als Jugendliche findet sie den Mut, sich aus der Gemeinschaft zu lösen. Mit 17 Jahren besucht sie zum ersten Mal die Schule. Mit ihrer Autobiografie wurde Tara Westover weltberühmt.
Ein ähnliches Schicksal ereilte Alem Grabovac. In seinem autofiktionalen Werk Das achte Kind erzählt er von einem Heranwachsendem, der sich unter schwierigen Bedingungen behaupten muss. Neben einem Ganoven als Vater prägen sein Leben ein nationalsozialistischer Pflegevater und ein Stiefvater, der sich als brutaler Säufer entpuppt. Erst als Erwachsener erfährt Alem Grabovac vom Schicksal seines leiblichen Vaters.
Mit seinem Ich-Erzähler Maik wirkt Wolfgang Herrndorfs Tschick wie eine autobiografische Geschichte. Die Coming-of-Age-Story in Form eines Roadmovies schildert, wie die beiden Außenseiter Maik und Tschick in einem gestohlenen Lada in die Walachei aufbrechen. Anstatt bei Tschicks Opa endet ihre tragikomische Reise jedoch in einem Gerichtssaal. Die Geschichte über die heranwachsenden Helden begeistert auch viele Erwachsene.
Joachim Meyerhoffs Alle Toten fliegen hoch: Amerika berichtet zunächst in humorvollem und selbstironischem Ton von seiner Coming-of-Age-Erfahrung in den USA. Doch ein tragischer Schicksalsschlag setzt der sorglosen Zeit des Jugendlichen ein jähes Ende.
Fantasy als Bildungsroman?
Bildungsromane gibt es in den verschiedensten Genres. Auch einige bekannte Fantasy-Geschichten gehören dazu. So ist beispielsweise J.K. Rowlings Harry Potter und der Stein der Weisen der Startschuss zu einer klassische Entwicklungsgeschichte.
Der erste Band der „Harry Potter“-Reihe weist einige Elemente des Genres auf. Ein Waisenjunge erfährt von seiner Herkunft, verlässt seine lieblose Tante und seinen gleichgültigen Onkel und muss lernen, sich in einer verwirrenden neuen Welt zurechtzufinden. Er muss viele Prüfungen bestehen, die seinen Mut, seine Loyalität und seine Freundschaften auf die Probe stellen. Der Rest ist ein episches Abenteuer, wie es kein zweites gibt...
Auch Suzanne Collins’ dystopische Trilogie Die Tribute von Panem zählt zu den Bildungsromanen. Mit den jugendlichen Charakteren, ihrer Entwicklung im Handlungsverlauf und der Hinterfragung des Status quo liegt hier eine typische Entwicklungsgeschichte vor. In der Diktatur von Panem werden in jedem Distrikt zwei Kinder ausgelost. Als Tribute treten sie in den Hungerspielen gegeneinander an, bis ein Sieger übrig bleibt. Katniss Everdeen und Peeta Mellark kämpfen kreativ und mit vereinten Kräften gegen das grausame Spiel.
In Sag den Wölfen, ich bin zu Hause der US-amerikanischen Autorin Carol Rifka Brunt gerät das Leben der jungen Außenseiterin June Elbus aus den Fugen, als ihr geliebter Onkel Finn Weiss stirbt. Der berühmte Maler war der Einzige, von dem sie sich verstanden fühlte. Doch auch ein scheuer junger Mann ist untröstlich über den Verlust. Damit ist der Grundstein für eine Freundschaft gelegt, die noch auf eine harte Probe gestellt wird.
Berühmte Klassiker aus England und den USA: David Copperfield, Tom Sawyer & Co.
Der Bildungsroman gilt zwar als ein typisch deutsches Genre, doch englische und amerikanische Autoren schrieben Entwicklungsromane, mit denen wir in vergangene Epochen und andere Länder reisen.
Charles Dickens’ Helden leben im 19. Jahrhundert in England und haben meist einen schwierigen Start ins Leben. Der autobiografisch geprägte Bildungsroman David Copperfield ist eines der berühmtesten Werke der Weltliteratur. Der Halbwaise wird vom Stiefvater ins Heim verbannt und später zur Kinderarbeit verdonnert. Gewitzt arbeitet sich David Copperfield zum Parlamentsberichterstatter einer Zeitung hoch. Auch in "Große Erwartungen" erzählt Dickens, wie sich der Waisenjunge Pip trotz seiner ärmlichen Herkunft Zugang zur Welt von Reichtum und Bildung verschafft.
Armut erfährt auch die Titelheldin im Hörbuch "Jane Eyre" von Charlotte Brontë. Als Waisenmädchen in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, bekommt sie als junge Frau einen Heiratsantrag von einem Mann aus höherem Stande, der eigentlich schon anderweitig versprochen ist. In Sturmhöhe schildert Charlottes Schwester Emily Brontë das Heranwachsen des Findlings Heathcliff auf dem Gut Wuthering Heights und sein Schicksal nach dem Tod des Gutsherrn.
Einige der berühmtesten Entwicklungsromane stammen aus den USA. Wer hat nicht schon einmal Die Abenteuer des Tom Sawyer und seines Freundes Huckleberry Finn von Mark Twain verschlungen oder ihnen gebannt gelauscht? In "Wer die Nachtigall stört" zeichnet Harper Lee anschaulich die Entwicklung der Geschwister Stout und Jem im Alabama der Dreißigerjahre nach. Als ihr Vater die Verteidigung eines Schwarzen übernimmt, ist Schluss mit ihrer heilen Welt.
Wie alles begann: Bildungsromane von Goethe bis zu den Klassikern der Moderne
Der Begriff „Bildungsroman“ ist zwar besonders mit Goethes Werken verknüpft, wurde jedoch im 18. und 19. Jahrhundert von den deutschen Literaturwissenschaftlern Karl Morgenstern und Wilhelm Dilthey geprägt.
In Geschichte des Agathon beschreibt Goethes Zeitgenosse Christoph Martin Wieland die Selbstfindung eines jungen Mannes, der zu einer vollendeten, vernünftigen Persönlichkeit heranreift. In der Epoche des Realismus schuf Gottfried Keller mit "Der grüne Heinrich" einen Bildungsroman mit autobiografischen Zügen, der noch heute als eines der bedeutendsten Werke des Genres gilt. In "Der Nachsommer" verwebt Adalbert Stifter die Bildungs- und Liebesgeschichten zweier Paare. Dabei stellt er das ideale Leben einer weniger geglückten Entwicklung gegenüber.
Daneben gibt es zahlreiche Klassiker der Moderne. Insbesondere Hermann Hesse hat oft die Entwicklung und Wandlung von Suchenden beschrieben, wie in seinem Roman "Demian". Darin schildert er die Jugend- und Lebensgeschichte des zehnjährigen Emil Sinclair bis zum reifen Erwachsenen.
Zu den Klassikern des Entwicklungsromans gehören außerdem Thomas Manns Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull sowie "Die Blechtrommel" von Günter Grass. Thomas Manns unvollendeter Roman schildert die bewegte Vergangenheit des Felix Krull, dessen Lebensweg ins Schauspielermilieu und in die zwielichtige Halbwelt führt. In „Die Blechtrommel“ entlarvt der kleinwüchsige Außenseiter Oskar Matzerath schonungslos das Kleinbürgertum im Dritten Reich.
Bildungsromane hören: zeitlos und fesselnd
Bildungsromane finden sich in praktisch allen Literaturepochen und vielen Genres zu finden: Von Belletristik über Fantasy und Science-Fiction bis hin zu Young Adult & New Adult oder Autobiografien. Bildungsromane berichten von der inneren Entwicklung und Selbstfindung ihrer Helden. Gleichzeitig bereichern uns Entwicklungsgeschichten durch ihre fremden Welten und unterschiedlichen Milieus. Und genau das macht den Bildungsroman so zeitlos und faszinierend.