Als wir Anfang April mit Patrizia Schlosser sprechen, ist im Hintergrund Vogelgezwitscher zu hören. Wo sie jetzt gerade steckt? In Oaxaca, Mexiko. Patrizia ist allerdings nicht auf Reportage-Mission unterwegs, sondern arbeitet an einem ganz anderen Projekt, von dem sie lieber erst erzählen möchte, wenn es fertig ist. Und das kann sie genauso gut unter der Sonne Mexikos machen, statt bei launischem Aprilwetter in Deutschland.
Deutscher Radiopreis für den Podcast „Im Untergrund“
Für den Audible Podcast machte sie sich gemeinsam mit ihrem Vater, einem ehemaligen Polizisten, auf die Suche nach drei mutmaßlichen RAF-Terroristen, die seit Jahren abgetaucht sind. Ein Thema, das sie auch nach Aufnahmeschluss nicht losgelassen hat: „Bei den meisten investigativen Sachen hört es auch nach der Veröffentlichung nicht auf, dass man sich dafür interessiert“, erklärt Patrizia. Genau das mache die Themen im Investigativjournalismus aus, dass man sich mit viel Leidenschaft und Faszination in einen ganz neuen Bereich einarbeitet.
Während es Nachrichtenjournalismus vor allem darum geht, Themen abzubilden und zu berichten, sieht Patrizia die Aufgabe der investigativen Arbeit darin, etwas Neues zu entdecken, Missstände aufzudecken und im besten Fall auch eine Veränderung anzustoßen. Damit geht natürlich auch eine große Verantwortung einher – die sich aber lohnt, wie sie findet.
Die Herangehensweise: methodisch und organisiert
Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, geht Patrizia bei ihrer Arbeit methodisch vor: Am Anfang jeder investigativen Recherche steht eine Annahme, die es zu überprüfen gilt. „Man muss mit einer bestimmten Hypothese an ein Thema herangehen und versuchen, etwas Kleineres innerhalb eines großen Themas zu fassen.“
Im konkreten Fall ihres Podcasts über die RAF-Terroristen ging es ihr unter anderem darum zu ergründen, wie groß der Anteil des Staates an den Auseinandersetzungen mit der RAF war. „Die Gefahr dabei ist, dass man von allen möglichen Stimmen und Meinungen bombardiert wird, sodass man nicht mehr weiß, was man glauben kann und was nicht“, beschreibt Patrizia das Gefühl der Suche nach Fakten.
Wer jetzt denkt, als investigative Podcasterin sei man nur mit Aufnahmegerät in der Weltgeschichte unterwegs, hat sich getäuscht, denn: „Ganz viel am investigativen Recherchieren ist krasse Organisation“, so Patrizia. Für die Recherchen zu „Im Untergrund“ hat sie verschiedene Ordner zu den einzelnen Protagonisten angelegt, die sie wieder und wieder gewälzt hat, um neue Verknüpfungen zwischen den einzelnen Personen und Ereignissen herzustellen.
Anfangs greift Patrizia für ihre Recherchen vor allem auf offene Quellen zurück, wühlt sich durch Archive oder kontaktiert Experten. Dieses Vergraben in Unterlagen und das damit einhergehende Eintauchen in einen völlig neuen Themenbereich ist es aber unter anderem, was Patrizia an ihrer Arbeit als investigative Reporterin so viel Spaß macht. Der andere Part, den sie nicht missen möchte: „Die Gespräche mit den Leuten, die Leute zu treffen und dadurch auch die unterschiedlichsten Milieus kennen zu lernen.“
Sackgassen inklusive: Was bei der Recherche schiefgehen kann
Dabei passiert es ständig, dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht und mit einem Konvolut an Aussagen konfrontiert wird, die sich unmöglich alle verifizieren lassen. Ebenso frustrierend findet es Patrizia, wenn sie an Leute nicht rankommt oder die schlichtweg nicht bereit sind, mit ihr zu sprechen – und das, obwohl die Hemmschwelle eigentlich niedriger ist, wenn sie als Podcasterin nur mit einem Aufnahmegerät auf ihre Interviewpartner zugeht, statt gleich mit einem ganzen Kamerateam.
Auch wenn es mal wirklich nicht weitergeht und Patrizia vor einer regelrechten Schweigemauer steht, lautet ihre Devise: Weitermachen! „Wenn man nicht weiterkommt, lohnt es sich, sich anzuschauen, was man bereits hat“, erklärt sie ihre Vorgehensweise. „Wenn man sich alles noch einmal anguckt und dann versucht, Verbindungen zwischen den einzelnen Punkten zu finden, kommt man auf ganz neue Verknüpfungen.“
Und die hat sie auch immer wieder gefunden: „Es ist Wahnsinn, was man entdeckt, wenn man zu dritten oder vierten Mal auf das Material guckt“, findet sie, „total erstaunlich und auch irgendwie frustrierend.“
Podcasts – oder „Netflix für die Ohren“
Der Podcast als Medium hat an dieser Stelle einen entscheidenden Vorteil: Vieles überträgt sich, der Zuhörer merkt intuitiv, wie der Sprecher drauf ist, was für ein Typ er ist, ob er nervös ist. Und beim zweiten, dritten oder vierten Anhören fällt es viel leichter, weniger auf das Gesagte an sich zu achten als darauf, wie es gesagt wird. Über die Emotionen wird nämlich ganz viel vermittelt, findet Patrizia.
Generell spielen beim investigativen Podcast Emotionen eine wichtige Rolle. Hier geht es nicht nur darum, ein Thema objektiv zu präsentieren. Stattdessen wird der Zuhörer an die Hand genommen, kann einen Blick hinter die Kulissen werfen, erlebt die Zweifel und Sorgen des Podcasters, bekommt mit, wenn die Recherchen nicht wie gewünscht vorangehen.
Als Podcaster ist das nicht immer einfach, gibt Patrizia zu, weil man sich genau überlegen muss, welche Rolle man einnimmt. Sie selbst bevorzugt die Herangehensweise, ihren Gesprächspartnern so weit es geht vorurteilsfrei gegenüber zu treten, neugierig an sie heranzutreten und ihnen zu vermitteln, dass sie ernsthaft an ihnen und ihren Gedanken interessiert ist. Denn solche Fragen sind es, die das Gegenüber dazu bringen, frei heraus zu erzählen. Wenn das dann vom Gegenüber als naiv verstanden wird, muss das kein Nachteil sein.
Investigatives Arbeiten als Denkanstoß
Dass ihre Herangehensweise in den sozialen Medien gerne mal kritisiert wird, ist ihr klar. Kommentare, zum Beispiel auf YouTube, liest sie trotzdem. Manchmal komme es auch vor, dass die Leute sie auf interessante Dinge hinweisen oder sinnvolle Tipps geben. Trotzdem, gut fühlt sie sich nach dem Lesen nicht, eher ein bisschen so, „als hätte einen jemand angekotzt.“
Dennoch: Ihre Arbeit macht Patrizia trotz aller Schwierigkeiten, trotz mauernder Gesprächspartner und teils unangenehmer Kommentare Spaß. Eben auch, weil es nicht immer einfach ist: „Man ist ständig mit Zweifeln über sich selbst konfrontiert und wenn man merkt, dass man es trotzdem schafft da durchzusteigen, ist das schon toll“, sagt sie. Außerdem lerne sie durch ihre Arbeit die Welt auf eine tiefere Art kennen, kann über vieles anders nachdenken – und dabei auch noch andere Leute zum nach- und umdenken inspirieren.
Investigative Podcasterin in "Auris"
In dem neuen Audible Original Hörspiel "Auris" nach einer Idee von Sebastian Fitzek spielt ebenfalls eine investigative Podcasterin eine Hauptrolle. Überprüft selbst, ob diese Jula Ansorge ähnlich arbeitet wie Patrizia Schlosser.