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Literaturnobelpreis 2024: Lerne Gewinnerin Han Kang kennen

Literaturnobelpreis 2024: Lerne Gewinnerin Han Kang kennen

Am 10. Oktober um Punkt 13 Uhr trat Mads Malm, Sekretär und Sprecher der für die Vergabe des Literaturnobelpreises verantwortlichen Schwedischen Akademie, im Sitzungsraum des Stockholmer Börshuset vor die wartende Presse und verkündete: „Der Nobelpreis für Literatur 2024 geht an die südkoreanische Autorin Han Kang für ihre intensive poetische Prosa, die sich historischen Traumata stellt und die Zerbrechlichkeit menschlichen Lebens vor Augen führt.“

Diese Entscheidung war für viele eine Überraschung. Die Prognosen hatten neben den seit Jahren favorisierten Namen Margaret Atwood, Haruki Murakami und Salman Rushdie vor allem die chinesische Avantgarde-Literatin Can Xue als Favoritin gehandelt. Trotzdem ist Han Kang keine Unbekannte. Spätestens seit ihrem Erfolgsroman Die Vegetarierin wurde ihre Arbeit weltweit wahrgenommen und in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

Die Vegetarierin

In Südkorea erschien Die Vegetarierin 2007 und wurde 2009 verfilmt. Den internationalen Durchbruch hatte der Roman aber erst 2016, als Han Kang und ihre englische Übersetzerin Deborah Smith für das Buch den International Booker Prize abräumten.

Die Vegetarierin erzählt vom Martyrium der jungen Ehefrau Yong-Hye. Als sie sich eines Tages entscheidet, kein Fleisch mehr zu essen, zieht sie damit das gnadenlose Unverständnis ihres Umfelds auf sich. Das Besondere an diesem Werk: Han Kang in drei Abschnitten aus jeweils wechselnden Perspektiven, wobei aber fast nie Yong-Hye selbst spricht. So folgen wir dem Geschehen aus Sicht des Ehemanns, des Schwagers und der Schwester. Dadurch werden die Formen der Gewalt, die Yong-Hye erleidet, personalisiert und körperlich erfahrbar.

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Literaturnobelpreis 2024: Entdecke weitere Werke von Han Kang

Im Anschluss an Mads Malms Verkündung trat der Vorsitzende des Literaturnobelpreis-Komitees Anders Olsson vor die Zuhörenden. In einer kurzen Ansprache stellte er die Preisträgerin vor und sagte dabei::

[Han Kang] hat ein einzigartiges Bewusstsein für die Verbindungen zwischen Körper und Seele, Lebenden und Toten, und ist mit ihrem poetischen und experimentellen Stil zur Innovatorin zeitgenössischer Prosa geworden.

In seiner Rede untermauerte Olsson diese Einschätzung, indem er das Gesamtwerk der 53-jährigen Autorin umriss – von ihren ersten Lyrik-Veröffentlichungen und Kurzgeschichten in den Neunzigerjahren bis hin zu „Die Vegetarierin“ und ihrem jüngsten Buch. Das wird den englischen Titel „We do not Part“ tragen und erscheint bei uns erst 2025. Ausführlicher ging Olsson in seiner Rede auf drei Romane ein, über die du im Folgenden mehr erfahren kannst.

Han Kang meditativ und empathisch: „Griechischstunden

In Griechischstunden erzählt Han Kang die Geschichte einer jungen Lehrerin, die kurz hintereinander erst ihre Mutter und dann das Sorgerecht für ihren Sohn verliert. Infolgedessen verstummt die sensible Frau. Sie belegt einen Griechisch-Kurs und verliebt sich dabei in ihren Lehrer. Dieser fühlt sich ebenfalls entfremdet, weil er allmählich erblindet und zwischen zwei kulturellen Prägungen schwankt – Korea und Deutschland. Wie die beiden einander näherkommen und Halt in ihrer Verlorenheit finden, dafür findet Kang schlichte und gleichzeitig kraftvolle Worte..

Griechischstunden

Bezugnehmend auf Die Vegetarierin sagte Anders Olsson:

Han Kangs körperliche Empathie für extreme Lebenswege wird in Griechischstunden aus dem Jahr 2011 zusätzlich durch einen aufgeladenen metaphorischen Stil verstärkt.

So sei das Buch eine „hervorragende Meditation über Verlust, Intimität und die letztgültigen Bedingtheiten von Sprache“.

Han Kang historisch und politisch : „Menschenwerk

In Menschenwerk verarbeitet Han Kang den sogenannten Gwangju-Aufstand. Bei den Unruhen im Jahr 1980 demonstrierten Studierende und Angehörige der Arbeiterklasse gegen die damals in Südkorea regierende Militärdiktatur und forderten Demokratie. Der Aufstand gipfelte in einem Massaker, bei dem im Auftrag der Regierung über hundert Demonstrierende getötet und tausende verletzt wurden. Menschenwerk zeigt die Grausamkeit dieser Vorgänge und ihre Nachwirkungen anhand individueller Schicksale. Gleichzeitig ist das Buch Han Kangs Hommage an die Stadt ihrer Geburt.

Menschenwerk

Anders Olsson über Menschenwerk:

Der Versuch, den Opfern der Geschichte eine Stimme zu geben, bekommt in dieser Episode eine brutale Aktualität und nähert sich der Zeugenliteratur an. Dennoch unterläuft Han Kangs visionärer und prägnanter Stil unsere Erwartungen an das Genre, indem ihr besonderes Augenmerk auf der Trennung der Seelen der Toten von deren Körpern liegt, um ihnen die Bezeugung ihrer eigenen Vernichtung zu ermöglichen.

Han Kang lyrisch und assoziativ: „Weiß

Ebenfalls eine Totenbeschwörung ist Han Kangs Weiß. Ein kurzes Buch, über das Olsson sagt, es sei „weniger ein Roman und eher eine Art ‚säkulares Gebetsbuch‘“. Hier tritt die Ich-Erzählerin in Zwiesprache mit einer Schwester, die sie nie kennengelernt hat, weil diese kurz nach der Geburt in den Armen der Mutter starb. Die Annäherung wird kunstvoll verschränkt mit Reflektionen über die Farbe Weiß.

Weiß

„In Weiß dominiert wieder Han Kangs poetischer Stil“, so Olsson.

Durch eine Reihe kurzer Notizen, die sich alle auf weiße Objekte beziehen, wird die Farbe der Trauer zur assoziativen Grundlage für die Gesamtgeschichte.

Han Kang persönlich: Wie tickt die Literaturnobelpreisträgerin?

Han Kang ist die erste Person aus Südkorea, die den Literaturnobelpreis erhält. Sie wurde 1970 in der Provinzhauptstadt Gwangju geboren, wo sie die ersten neun Jahre ihres Lebens verbrachte, bis ihre Eltern nach Seoul umzogen. Die Liebe zur Literatur liegt in der Familie. Ihr Vater Han Seung-won ist ebenfalls Schriftsteller, ebenso ihr Bruder Han Dong-rim.

Schon während ihres Literaturstudiums veröffentlichte Han Kang Gedichte und Kurzgeschichten, Mitte der Neunzigerjahre folgte der erste Roman. Bis zum Erfolg von Die Vegetarierin arbeitete sie neben der Schriftstellerei als Kulturjournalistin und Dozentin für Kreatives Schreiben. Heute lebt sie als freie Autorin in Seoul.

Als Mads Malm am 10. Oktober aus Stockholm anrief, um Han Kang persönlich mitzuteilen, dass sie den Literaturnobelpreis 2024 erhält, saß die Autorin gerade mit ihrem Sohn beim Abendessen. Das berichtete sie kurz danach in einem Telefon-Interview, das auf dem Youtube-Kanal des Nobel-Komitees veröffentlicht wurde. In dem Gespräch bekennt die Autorin, sie sei von der Nachricht völlig überrascht gewesen, fühle sich aber sehr geehrt. Weil sie keinen Alkohol trinke, werde sie die gute Nachricht im Freundeskreis bei einer Tasse Tee begießen.

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Von Selma Lagerlöf bis Han Kang: Die Frauen und der Literaturnobelpreis

Han Kang ist nicht nur die erste Literaturnobelpreisträgerin aus Südkorea, sondern auch die erste Frau aus Asien überhaupt, die den Preis erhält. Insgesamt ist sie unter den 121 bislang ausgezeichneten Personen die 18. weibliche Preisträgerin. Die erste war 1909 Nils Holgersson-Erfinderin Selma Lagerlöf, Nummer 17 im Jahr 2022 Frankreichs Autofiktions-Königin Annie Ernaux.

Das Ungleichgewicht bei der Geschlechterverteilung und das elitäre Vergabesystem brachten den eigentlich so renommierten Literaturnobelpreis in den letzten Jahren immer wieder als überholte Veranstaltung alter weißer Männer in Verruf. Auch Forderungen, den Preis abzuschaffen, wurden laut. Das Komitee reagierte auf die Kritik mit internen Reformen und der Bemühung um mehr Transparenz.

Nobelpreis-Frauen unter sich: Erfahre mehr über die 18 Preisträgerinnen und ihre Werke

Der Literaturnobelpreis: Seine Geschichte und die feierliche Verleihung

Aller Kritik zum Trotz gilt der Literaturnobelpreis immer noch als weltweit höchste Ehre für Autorinnen und Autoren. Er wurde erstmals 1901 vergeben und seither mit wenigen Ausnahmen jährlich verliehen. Wer ausgezeichnet wird, entscheidet das Nobelpreis-Komitee der Schwedischen Akademie. Anders als bei vergleichbaren Literaturpreisen gibt es beim Literaturnobelpreis keine Long- oder Shortlist. Die Kandidatinnen und Kandidaten, die neben der ausgezeichneten Person im Rennen waren, werden erst 50 Jahre nach der jeweiligen Verleihung enthüllt.

Der Preis geht auf eine Stiftung von Dynamit-Erfinder Alfred Nobel (1833 – 1896) zurück, der in seinem Testament verfügte, dass nach seinem Tod jedes Jahr in fünf Kategorien Personen ausgezeichnet werden sollen, die „der Menschheit einen besonderen Nutzen erwiesen haben“. Wenn du mehr über Alfred Nobel und seine Motivation, die Nobelpreise ins Leben zu rufen, erfahren willst, vermittelt das Mini-Hörbuch Alfred Nobel – Kurzbiografie kompakt in nur sechs Minuten die wichtigsten Informationen.

Alfred Nobel - Kurzbiografie kompakt

Die weiteren Nobelpreis-Kategorien neben der Literatur sind Physik, Chemie, Biologie/Medizin und Verdienste für den Weltfrieden. Jede Kategorie ist mit einem Preisgeld von 11 Millionen Schwedischen Kronen dotiert, das entspricht etwa 970.000 Euro.

Die feierliche Übergabe des Literaturnobelpreises erfolgt traditionell am 10. Dezember, dem Geburtstag von Alfred Nobel. Laut Mads Malm wurden schon die ersten Vorbereitungen getroffen, damit Han Kang den Preis bei der Veranstaltung in Stockholm persönlich entgegennehmen kann.

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Titelfoto via librairie mollat, CC BY 3.0

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