Nicht erst seit Der Herr der Ringe tummeln sich Zwerge und Elben in der Fantastik. Peter S. Beagle schrieb mit Das Letzte Einhorn sogar einen Roman, in dem er ein magisches Geschöpf zur Protagonistin machte. Versinken wir in diesen Geschichten, wissen wir, dass die wundersamen Kreaturen reine Fiktion sind. Das war nicht immer so: Bis ins späte 16. Jahrhundert glaubten die Menschen, Einhörner und Meerjungfrauen gäbe es wirklich. Bis ins Zeitalter der Aufklärung stellte man in sogenannten Wunderkammern Artefakte aus, die die Existenz von Fabelwesen belegen sollten. Die Vorstellungskraft der Menschheit war schon damals unerschöpflich – und das rund um den Globus.
Nicht tot zu kriegen
Zu den ältesten Fabelwesen gehören Untote und Dämonen. Die Angst vor ruhelosen Verstorbenen – ob nun in körperlicher Form oder als Geist beziehungsweise Gespenst – findet sich in zahlreichen Kulturen. Als besonders gruselig gilt der Zombie, ein verstorbener Mensch, der – meist mittels dunkler Magie – wieder zum Leben erweckt wurde. Er ist ebenso seiner Seele wie auch seinem Willen beraubt und steht unter dem direkten Einfluss seines Beschwörers. Zahlreiche Zombie-Hörbücher zeugen davon, dass man selbst mit hirnlosen Monstern spannende Geschichten erzählen kann.
Der skandinavische Draug ist ein Verstorbener, der seinem Grabhügel entsteigt, gewaltige Kräfte besitzt und die Zukunft voraussagen kann. Mühelos verwandelt er sich in ein Tier.
Die Vorstellung „lebendiger“ Skelette kennt man seit dem Mittelalter. Den personifizierten Tod malt man sich oft als Knochengerippe, mit Stundenglas und Sense, aus. Auch den Día
de los Muertos, den mexikanischen Tag der Toten, kann man sich ohne wandelnde Skelette kaum vorstellen. Jünger ist hingegen der Glaube an Poltergeister – die ältesten überlieferten Sichtungen stammen aus dem 17. Jahrhundert – und besessene Mumien. Die bekanntesten Untoten sind natürlich die Vampire.
Bis vor ein paar hundert Jahren hielt man auch in unseren Breitengraden nicht zuletzt deshalb eine Totenwache, um sicherzustellen, dass frisch aus dem Leben Geschiedene nicht als rachsüchtige Untote wieder auferstehen.
Eng mit Toten verbunden ist auch der persisch-arabische Ghul beziehungsweise die Ghula: Bei ihnen handelt es sich um dämonische Wesen, die nahe Friedhöfen und Grabstätten hausen, nach Menschenfleisch gieren und vor Leichenteilen nicht zurückschrecken. Als Geisterwesen besitzen Ghule die Gabe der Metamorphose. Man erkennt sie jedoch immer an ihren Eselshufen, die sie niemals loswerden – egal, in welche Gestalt sie sich verwandeln.
Ein positives Symbol der Wiedergeburt hingegen ist der Phönix. Am Ende seines Lebens geht dieser Vogel in Flammen auf, verbrennt und ersteht aus seiner Asche wieder neu auf.
Chimären – teils Mensch, teils Tier
Der Sagenschatz der Griechen und Römer ist voller wundersamer Fabelwesen, wie etwa die Zentauren (eigentlich Kentauren): Mischwesen mit dem Oberkörper eines Mannes und dem Unterkörper eines Pferdes. Sie gelten als große Krieger und weise Ratgeber. Quälgeister sind hingegen die Harpyien, gewaltige Vögel mit mörderischen Krallen und den Köpfen schöner Mädchen. Umgekehrt besaß die Medusa den Körper einer Frau, aber ein monströses Gesicht mit Hauern wie ein Wildschwein. Statt Haaren wachsen aus ihrem Kopf Schlangen. Ihr Anblick soll so furchtbar sein, dass jeder, der ihr direkt in die stechenden Augen sieht, zu Stein erstarrt. Eher schelmisch erscheinen die Faune, die menschliche Oberkörper besitzen, aber Hörner wie eine Ziege und fellbewachsene Bocksbeine. Sie sind fröhliche Musikanten und Hüter der Feldfrüchte. In der modernen Fantasyliteratur kommen sie selten vor, sieht
man einmal von Die Chroniken von Narnia ab.
Als geflügelte Löwin mit dem Kopf einer Frau stellte man sich die Sphinx vor, der eine zerstörerische Kraft innewohnte. Wer ihr Zuhause passieren will, muss ein Rätsel lösen. Kann er es nicht, wird er von der Sphinx erwürgt und verschlungen. Vor den Griechen waren bereits die Ägypter, Phönizier und Assyrer fasziniert von Sphinx-ähnlichen Mischwesen. Noch heute künden riesige Löwenstatuen mit Männerköpfen und Reliefs sowie Malereien von aufrecht schreitende Löwen mit Vogelköpfen davon. Michael Ende setzte der Sphinx in Die unendliche Geschichte ein modernes Denkmal. Der Glücksdrache Fuchur, eine wichtige Nebenfigur in
diesem Roman, modellierte der Autor hingegen nach dem Vorbild fernöstlicher Drachen. Diese Kreaturen sind so vielfältig interpretierbar, dass wir für euch eine Top 10 der Fantasy-Hörbücher mit Drachen zusammengestellt haben.
Fuchsgeister und Schneefrauen
Zu den auch hierzulande bekanntesten Fabelwesen aus Asien zählen die japanischen Kitsune: Füchse, die neun Schwänze besitzen, oftmals die Gestalt schöner Frauen annehmen und die mal Segen, mal Unglück bringen. Bedrohlicher sind ihre koreanischen Schwestern, die Kumiho. Sie jagen menschliche Organe – ganz gleich, ob Herzen oder Lebern. Erbeuten sie genug, erwerben sie eine menschliche Seele.
Für Glück und Barmherzigkeit steht der chinesische Fenghuang, ein Vogel, der äußerlich einem Pfau ähnelt und dessen Farben – grün, rot, gelb, schwarz und weiß – die Tugenden Güte, Anstand, Treue, Weisheit und Gerechtigkeit symbolisieren. Ein Bixie ist eine Chimäre, die an einen geflügelten Löwen erinnert und böse Geister vertreiben kann. Wie etwa die Yuki-onna, die mysteriöse Schneefrau. Zierlich und hochgewachsen, mit durchscheinender Haut und knöchellangen Haaren, lockt sie arglose Wanderer in eine eisige Welt, damit sie erfrieren. In manchen Sagen und Märchen warnt sie Menschen jedoch auch vor aufkommenden Schneestürmen.
Monster des Meeres und der Seen
Eher ein Ärgernis als eine echte Gefahr geht vom Kappa aus. Der japanische Wasserdämon mit froschähnlichen Zügen liebt Gurken, kann sich auf zwei Beinen bewegen und die menschliche Sprache sprechen. Am höchsten Punkt seines Hauptes befindet sich eine Einbuchtung, die mit Wasser gefüllt ist – die Quelle seiner Kraft. Verschüttet er dieses Wasser, verliert er seine Macht. Deshalb ist er an Land leicht zu besiegen. Bestimmten Mythen zufolge zieht der Wasserdämon jedoch auch unvorsichtige Schwimmer in die Tiefe seines Zuhauses, um sie zu ertränken.
Diesbezüglich hat er Ähnlichkeiten mit der griechischen Sirene, der deutschen Nixe und dem
britischen Kelpie. Letzterer ist ein Dämon, der in tiefen Gewässern lebt und Menschen in Gestalt eines Pferdes erscheint. Wer sich auf dessen Rücken schwingt, ist verloren, denn er klebt fest, während der Kelpie tief ins Wasser hinabsteigt, seinen Reiter ertränkt
und verspeist. Mit Glück kann man das Fabeltier anhand seiner feuchten Mähne
oder am blauen Schimmer seines Fells erkennen.
Mit Vorsicht zu genießen
Weit verbreitet – nicht nur auf den britischen Inseln – ist auch der Glaube an das Volk der Feenwesen, zu dem auch Kobolde und Elfen zählen.
Seefahrer freuen sich beispielsweise darüber, wenn sich ein Klabautermann auf ihrem Schiff häuslich einrichteten – meist unter der Ankerwinde oder im Laderaum. Für die Besatzung bleibt er unsichtbar. Jedoch hilft er bei Ausbesserungsarbeiten am Schiff und warnt den Kapitän vor drohenden Gefahren. Wenn ihm eine Laus über die Leber läuft, wirft er allerdings auch gern mal mit Brettern um sich.
Friedfertigere Gesellen sind da die Heinzelmännchen. Die Zipfelmützen tragenden Winzlinge zeichnen sich durch unermüdlichen Fleiß aus. Sie erledigen in der Nacht sämtliche Arbeiten der schlafenden Menschen – allerdings nur, bis man sie entdeckt. Dann verschwinden sie auf Nimmerwiedersehen.
Ähnlich verhält es sich mit dem keltischen Brownie und dem skandinavischen Nisse. Auch das
sind gute Hausgeister. Ersterer zieht allerdings von dannen, wenn man ihm für seine Arbeit dankt, letzterer, wenn man ihn schlecht behandelt.
Deutlich mehr Ärger macht der slawische Bannik, der sich in Badehäusern hinter dem Ofen verschanzt. Er gleicht äußerlich einem zwergenhaften Alten mit wilden Haaren und langem Bart und soll extrem launisch sein. So manchen Badegast hat er bereits mit kochendem Wasser bespritzt.
Noch schlimmer treibt es die schottische Rotkappe. Dies ist ein Kobold, der auf den ersten Blick wie ein Zwerg aus einem alten Märchenbuch aussieht, jedoch statt Fingernägeln rasiermesserscharfe Krallen besitzt, Eisenstiefel trägt – und eine rote Kappe. Diese erhält ihre Farbe daher, dass die Rotkappe sie im Blut ihrer Opfer tränkt.
Elben gibt es nicht
Allgemein sind Feenwesen mit Vorsicht zu genießen. Elfen sind sehr naturverbunden und oftmals hilfreich, treiben jedoch auch viel Schabernack. In alten Zeiten hatten die Menschen vor ihrem Schadzauber ebenso viel Angst wie vor dem der Hexen und bösen Zauberer.
Wer bei dem Wort Elfe oder Fee übrigens ausschließlich an menschenähnliche Winzlinge mit
Schmetterlingsflügeln denkt, die in Blütenkelchen leben, ist auf dem Holzweg. Das sind Pixies. Vielleicht auch, um Verwechslung solcherart zu vermeiden, verwendet der moderne Fantasyroman statt Elfen mitunter gern den Begriff Elben. Dabei handelt es sich allerdings nicht um die ursprüngliche Bezeichnung für ein Fabelwesen, sondern um eine deutsche Wortschöpfung der Tolkien-Übersetzerin Margaret Carroux. In der britischen Originalausgabe Lord of the Rings heißen diese Wesen einfach nur elves, also Elfen.
Auf die Größe kommt es nicht an?
Ähnlich weitverbreitet wie der Glaube an Feen war bei den germanischen Völkern die Vorstellung von Zwergen, Riesen und Trollen.
Von ihrer Beliebtheit zeugen heute noch zahlreiche Märchen, vor allem im europäischen Raum: Während Trolle vor allem in skandinavischen Erzählungen eine große Rolle spielen, kennen wir Riesen und Zwerge etwa aus Schneewittchen und die sieben Zwerge, Schneeweißchen und Rosenrot und Jack und die Bohnenranke. Fürchteten sich die Germanen noch vor der gewaltigen Macht der Riesen, werden sie in vielen Märchen eher als tumbe Gesellen dargestellt. Dem Tapferen Schneiderlein fällt es nicht schwer, sie zu überlisten.
In diesem Märchen kommt etwas später auch eines der beliebtesten und geheimnisvollsten Fabeltiere überhaupt vor:
Der König der Fabeltiere
Das Schneiderlein fängt dieses strahlende Fabeltier ein, indem es dieses dazu bringt, wie ein Stier auf ihn loszugehen. Im letzten Moment springt der Titelheld jedoch zur Seite und das Horn des Fabelwesens bohrt sich tief in einen Baum.
Im Grimm’schen Märchen wird das Einhorn als wild und gefährlich beschrieben. Die meisten anderen Quellen bezeichnen es jedoch als Geschöpf der Reinheit und des absolut Guten. Viele Mythen ranken sich um diese Lichtgestalt. Selbst in der Bibel wird es erwähnt, auf dem berühmten babylonischen Ischtar-Tor ist es abgebildet und im Mittelalter wurde es zu einem beliebten Wappentier. Der berühmte Entdecker Marco Polo will ein Einhorn gesichtet haben, und zwar in Sumatra.
Äußerlich gleicht das Einhorn einem weißen Pferd. Manche Beschreibungen sprechen auch von Ähnlichkeiten mit einer Ziege. Immer aber wächst aus seiner Stirn ein schneckenartig gedrehtes Horn, dem ungeheure Heilkräfte nachgesagt werden. Mit seiner Hilfe lässt sich die Pest besiegen, Gift neutralisieren und sogar Tote können mit seiner heilenden Kraft wiederbelebt werden. Das Fabelwesen kann sein Horn jedoch auch als Waffe benutzen, vor allem im Kampf gegen seinen Erzfeind, den Löwen. Trotz seiner Stärke ist es so gut und rein, dass es sich nur von einer Jungfrau berühren lässt.
Das Einhorn mag das mit Abstand edelste aller Fabelwesen sein. Faszinierend sind jedoch auch seine unzähligen Artverwandten – bis heute: Sogenannte Kryptozoologen forschen über Tiere, deren Existenz als höchst zweifelhaft angesehen wird. Wer weiß schon, was sich unter dem Wüstensand oder im Mariannengraben noch alles vor uns versteckt.