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Meinung: „Bully Romance – an Mobbing ist nichts, absolut gar nichts romantisch“

Meinung: „Bully Romance – an Mobbing ist nichts, absolut gar nichts romantisch“

Während die einen die für Bully Romance typische Mischung aus Liebe und Gewalt unwiderstehlich finden, sind die anderen überzeugt: Mobbing und Romantik sollte man nicht in einen Topf werfen. Klar ist: Dieses Genre erhitzt die Gemüter. Aber was genau steckt eigentlich hinter Bully Romances wie „Deviant King“ von Rina Kent? Was macht die Romane für viele so reizvoll? Janina Ottma schreibt seit 2018 für das Audible Magazin und hat genauer hingeschaut.

Janina ist Journalist*in, hat Soziologie mit Fokus auf Gender und Medien studiert und arbeitet zum Beispiel zu Themen wie Identität, Rassismus oder Trauma. Über Bully Romance ist er*sie schon öfter gestolpert, zum Beispiel weil sich immer wieder Werke aus diesem Genre auf der BookTok-Bestsellerliste platzieren. Sollte man Bully Romances zensieren oder das Genre gar ganz verbieten? Dazu hat Janina eine klare Meinung.


Während eines Schulausflugs zieht Lucas Emma zu sich und flüstert ihr ins Ohr: „Warum gehst du nicht einfach zurück in dein Loch und verschwindest?“ Emma fühlt sich gedemütigt und hilflos.

Dieses fiktive Beispiel ist nur eines von vielen für Mobbing, wie es in einer Bully Romance vorkommen könnte. Bevor ich erkläre, warum genau diese beiden Begriffe – also „bullying“ und „Romance“ nicht zusammenpassen, lass uns nochmal einen Schritt zurückgehen und die Frage klären: Was genau verbirgt sich nochmal hinter dem Begriff Mobbing?

Mobbing in Deutschland

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend definiert Mobbing als „aggressives Verhalten, das systematisch, wiederholt und mit der Absicht, zu schaden, ausgeübt wird“. Es kann auch in physischer und/oder sexualisierter Gewalt münden. Ein entscheidendes Merkmal von Mobbing: das Machtungleichgewicht, bei dem sich das Opfer physisch oder psychisch unterlegen und hilflos fühlt.

Mobbing ist in Deutschland ein ernstzunehmendes Problem. Eine PISA-Studie aus dem Jahr 2022 zeigt: 12,3 % aller 15-jährigen Schülerinnen und Schüler erleben in Deutschland regelmäßig Mobbing. Auch am Arbeitsplatz ist Mobbing verbreitet. Laut einer Umfrage von Statista und YouGov aus dem Jahr 2021 erleben fast 30 Prozent der Befragten Mobbing im Job. Das hat Konsequenzen. Denn Betroffene fühlen sich verzweifelt, isoliert, schämen sich für das, was ihnen passiert. In extremen Fällen kann Mobbing zum Suizid führen.

Und Suizid ist in Deutschland bei Weitem die häufigste nicht natürliche Todesursache – das bestätigen Daten des Statistischen Bundesamtes, des Robert Koch-Instituts und des Bundeskriminalamts. So starben im Jahr 2022 in Deutschland insgesamt 10.119 Personen durch Selbsttötung. Im Vergleich: Durch Verkehrsunfälle starben im gleichen Zeitraum 2.776 Menschen, durch illegale Drogen 1.990 Personen und durch Mord 264. Damit verstarben 2022 doppelt so viele Menschen durch Suizid wie durch Verkehrsunfälle, illegale Drogen und Mord zusammen.

Wie viele Menschen jährlich aufgrund von Mobbing Suizid begehen, ist unklar. Jedoch ist anzunehmen, dass sich jedes Jahr Menschen aufgrund von Mobbingerfahrungen dazu entscheiden, ihr Leben zu beenden. Weil Mobbing so ein ernstes Thema mit tiefgreifenden Konsequenzen ist, stößt es mir sauer auf, die Begriffe „Mobbing“ und „Romance“ in einem Atemzug zu nennen. Denn, und ich denke, da wirst du mir zustimmen, an Mobbing ist nichts, absolut gar nichts romantisch. Warum gibt es also Bully-Romance-Fans, die Werke wie „Vicious Love“ von L.J. Shen geradezu verschlingen?

Darüber kann ich nur spekulieren. Und bevor ich darauf eingehe, was meiner Ansicht nach Bully Romances so faszinierend macht und warum ich denke, dass Bully Romances zwar ihre Daseinsberechtigung haben, es aber Grenzen geben muss, möchte ich erst einmal darauf eingehen, was Bully Romance von anderen beliebten New Adult Romance Tropes wie „Enemies to Lovers“ unterscheidet.

Bully Romance vs. Enemies to Lovers: Was ist der Unterschied?

Bully Romances zeichnen sich durch einige Charakteristika aus, die sie ganz klar von anderen bei TikTok und Instagram beliebten New Adult Romances unterscheiden. Genauer gesagt dreht sich hier alles um

  • emotionales Drama und Machtungleichgewichte,

  • moralisch ambivalente Charaktere und

  • Feindschaften, die sich langsam zu Liebe entwickeln.

Mit Enemies to Lovers Romances à la „The Love Hypothesis“ von Ali Hazelwood sollte man Bully Romances auf keinen Fall verwechseln. Denn diese sind deutlich „zahmer“ und humorvoller als Bully Romances. Tatsächlich zeichnen sich Bully Romances wie „Bully“ von Penelope Douglas nicht dadurch aus, dass sich Charaktere, die gegensätzlich sind, allmählich verlieben. Vielmehr sind sie von einer viel dunkleren Dynamik, geprägt, bei der meistens Manipulation und tiefe innere Konflikte im Vordergrund stehen.

Auch tauchen in Bully Romances immer wieder bestimmte Charaktere auf. Allen voran der innerlich zerrissene Held, der „Bully“ („to bully“ ist Englisch und bedeutet „mobben“. Ein „Bully“ ist dementsprechend eine Person, die andere mobbt). Er ist häufig arrogant und emotional distanziert, schikaniert oder dominiert andere. Für dieses Verhalten werden oft innere Konflikte oder Traumata verantwortlich gemacht. Dieser Charakter ist meistens aggressiv, aber mit einer verletzlichen Seite, die im Verlauf der Geschichte enthüllt wird. In vielen Fällen bereut er seine früheren Taten im Verlauf der Handlung und versucht, sich zu bessern.

Auf der anderen Seite: die resiliente Heldin – eine Figur, die oft das Opfer des Bullys ist, sich jedoch im Laufe der Geschichte weiterentwickelt und Stärke zeigt. Sie lässt sich nicht leicht unterkriegen, hat oft eine starke moralische Haltung und kämpft gegen Ungerechtigkeiten. Oft wirkt sie anfänglich schwach oder unsicher und wird im Lauf der Handlung selbstbewusst und widerstandsfähig. Oder sie ist von Anfang an stark und wächst im Laufe der Geschichte über sich hinaus.

Während Enemies to Lovers Romances häufig humorvolle und leichtere Töne anschlagen, können Bully Romances ziemlich düster sein. Viele sehen Bully Romance als ein Subgenre von Dark Romance an – ein Genre, in dem sich alles um dunkle, intensive Emotionen und moralische Ambiguität, oft auch um Macht und Kontrolle dreht. Wo Charaktere im Dark-Romance-Genre mit dunklen Begierden, traumatischen Erlebnissen und moralisch zweifelhaften Entscheidungen zu kämpfen haben, rückt Bully Romance speziell das Mobbing-Thema in den Vordergrund.

Historische Perspektive

Obwohl Bully Romance als Dark-Romance-Subgenre relativ jung ist, ist die Thematik „moralisch fragwürdiger Hauptcharakter hat Spaß daran, eine unverdorbene, schöne, junge Frau zu seinem Vergnügen gefügig zu machen und sie zu quälen“ keinesfalls neu. Ein Beispiel für eine frühe „Bully Romance“ aus dem Jahr 1999: der Film „Eiskalte Engel“.

Darin nutzen die wohlhabenden, zur Elite gehörenden Hauptfiguren Kathryn (Sarah Michelle Gellar) und Sebastian (Ryan Phillippe) ihre Macht, um andere zu manipulieren, für Sex zu benutzen und psychologische Spiele zu spielen. Dabei wird Feindschaft zwischen Sebastian und Annette (Reese Witherspoon) zu Liebe. Und auch die Idee hinter dem Film ist keinesfalls neu. Er basiert auf dem Roman Gefährliche Liebschaften von Choderlos de Laclos aus dem Jahr 1782.

Les liaisons dangereuses

Die Handlung: Die Marquise de Merteuil und der Vicomte de Valmont planen, die naive Klosterschülerin Cécile de Volanges und die tugendhafte Madame de Tourvel zu verführen. Merteuil will sich an einem ehemaligen Liebhaber rächen, Valmont seinen Ruf als Verführer festigen. Doch beide verstricken sich in ihre eigenen Intrigen, als Valmont echte Gefühle für Madame de Tourvel entwickelt. Das wiederum führt zu einem Duell zwischen Valmont und dem Chevalier Danceny, in dem Valmont ums Leben kommt. Am Ende kehrt Cécile ins Kloster zurück, Madame de Tourvel stirbt und die Marquise verliert sowohl ihr Vermögen als auch ihre Schönheit.

Viele der größten Werke der Weltliteratur enthalten sogenannte „morally grey characters“, also „moralisch graue“ Figuren, die gewalttätig, verletzend, gefühlskalt sind und im Laufe der Geschichte eine Veränderung erleben. Ein Beispiel für einen solchen komplexen und vielschichtigen Charakter, der nicht klar „gut“ oder „böse“ ist: Heathcliff aus Emily Brontës Wuthering Heights.

Sturmhöhe: Wuthering Heights

Heathcliff ist sowohl Opfer als auch Täter. Seine unglückliche Kindheit und unerwiderte Liebe machen ihn zu einem rachsüchtigen Mann.

Warum lesen Menschen Bully Romance?

Hinter dem Erfolg von Bully Romances stecken meiner Ansicht nach verschiedene psychologische Mechanismen. So ermöglicht es das Eintauchen in eine fiktive Welt, sich mit komplexen Themen auseinanderzusetzen – zum Beispiel mit Fragen wie: Welche Einstellung habe ich selbst eigentlich zum Thema Mobbing? Wie weit würde ich selbst gehen? – ohne reale Konsequenzen in der echten Welt.

Ich denke, für den Erfolg ist auch eine große Portion Voyeurismus verantwortlich. Denn bestimmt gibt es einigen einen Thrill, zu verfolgen, wie andere gequält werden. Und der „Spice“, mit dem Bully Romances aufwarten, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ein Kaufargument für viele. Wieder andere, die selbst von Mobbing betroffen waren, könnten beim Hören – und das ist eine gewagte These! – auch eine Art Katharsis erleben.

Auch die Anziehungskraft moralisch grauer Charaktere ist nicht zu unterschätzen. So könnte viele die Wandlung der Charaktere anziehen, besonders wenn ein Bully seine Fehler erkennt und sich bessert. Dass „moralisch graue“ Charaktere auch in Bully Romances existieren, ist meiner Meinung nach wichtig. Schließlich laden solche Figuren Lesende ein, über ethische Fragen nachzudenken. Und sie zeigen, wie facettenreich und widersprüchlich Menschen sind.

Ich stoße mich also keinesfalls an Liebesromanen mit „menschlichen“ und komplexen Charakteren. Es gibt allerdings Grenzen, die viele Bully Romances überschreiten. Denn hier werden die Protagonistinnen regelmäßig Opfer von Verbrechen. Zudem werden darin Themen trivialisiert, die man keinesfalls trivialisieren sollte.

Grenze überschritten: Das Beispiel „Very Bad Kings“

Ein Beispiel hierfür: „Very Bad Kings“ von J.S. Wonda. Hier wird Missbrauch nicht nur als erstrebenswert dargestellt (schließlich passiert er aufgrund von Besessenheit, Liebe oder weil der Charakter eigentlich Rache an einer anderen Person üben will). Auch werden Verbrechen (zum Beispiel die Objekte der Begierde unter Drogen zu setzen oder mit Messern zu bedrohen) trivialisiert. Ist schließlich alles nur „ein Spiel“, wie es im Vorwort des 2022 erschienenen Romans heißt.

Auch werden extrem ernste Themen wie Rassismus ganz nebenbei angesprochen. So schildert eine Figur in „Very Bad Kings“, dass im vorangegangenen Schuljahr eine Schülerin rassistisch motiviert gemobbt wurde. Hier fallen Begriffe wie „Ku-Klux-Klan“. Ganz nebenbei. Diese triviale Darstellung führt dazu, dass man sich selbst dabei ertappt, Informationen wie diese nicht kritisch (genug) zu betrachten.

Auch das Thema Klassismus, also die Diskriminierung einer Person aufgrund ihrer sozialen Herkunft, spielt eine große Rolle, wird jedoch nicht ernsthaft hinterfragt oder problematisiert. Stattdessen wird die soziale Ungleichheit oft als gegebener und unveränderlicher Zustand akzeptiert und sogar romantisiert. Die Protagonistin in „Very Bad Kings“ wird aufgrund ihrer bescheidenen Verhältnisse herabgesetzt und verspottet, was die Macht- und Statusunterschiede weiter verstärkt und normalisiert.

Bully Romances verbieten? Mein Fazit

Sollte man Bully Romances deshalb aus dem Buchhandel verbannen? Keinesfalls. Denn dass sie existieren, gibt aus den genannten Gründen durchaus Raum für Diskussion und Reflexion. Bully Romances können dazu anregen, über schwierige Themen zu sprechen und das Bewusstsein für Missstände zu schärfen. Entscheidend ist aber, wie die Inhalte präsentiert und rezipiert werden. Eine kritische Auseinandersetzung und ein sensibler Umgang mit den dargestellten Themen sind meiner Ansicht nach unerlässlich.

Ich wünsche mir, dass Autorinnen und Autoren sowie Verlage mehr Verantwortung übernehmen und sicherstellen, dass problematische Inhalte nicht verherrlicht, sondern in einem Kontext dargestellt werden, der zu einer reflektierten Auseinandersetzung anregt. Vor allem vor dem Hintergrund, dass Bully Romances primär ein junges Publikum ansprechen.

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