Inhaltlich wenig kompatibel, aber überraschend komplementär: Das merkwürdigste Kino-Doppelfeature des Sommers 2023 stellt wohl „Barbenheimer“ dar. Dass die beiden so unterschiedlichen Hollywood-Blockbuster „Barbie – Der Film“ unter der Regie von Greta Gerwig und „Oppenheimer“ von Christopher Nolan am gleichen Wochenende in den Kinos weltweit anliefen, schien aus Marketinggründen logisch: Verantwortliche der Filmstudios nahmen an, dass sich die Filme nicht gegenseitig das Publikum wegnehmen würden.
Doch allzu schematische Bewertungen können auch mal in die Irre führen: Was die Prognosen offenbar nicht berücksichtigten, ist, dass Menschen zu gleichen Teilen ein Interesse an zeitgenössischer Popkultur und an den großen politischen Krisen der Vergangenheit haben können. Richtig lagen die Expertinnen und Experten allerdings damit, dass die Filme nicht miteinander um Einkünfte konkurrieren würden: vielmehr solidarisierten sich die Kinofans und schauten einfach beide Filme, zum Teil direkt nacheinander.
Barbie x Oppenheimer – Farahani Edit
Historisches Material und Filmzitate: Buchtipps zu „Barbenheimer“
Schauspieler Tom Cruise („Top Gun“) offenbar machte den Anfang mit seiner Ankündigung auf „X-formerly-known-as-Twitter“, er werde beide Filme an ihrem Premierenwochenende nacheinander ansehen. Was folgte, war zum einen ein Hype um Double-Features der beiden beileibe nicht kurzen Filme. Weitschweifig wurde im Internet über die ideale Reihenfolge des Kinobesuchs diskutiert. Zum anderen entstand ein regelrechtes Meme-Gewitter, das Bildzitate aus beiden Filmen spielerisch remixte und so unter anderem J. Robert Oppenheimer in Barbies pinkfarbenes Cabriolet setzte und rosa Atompilze schuf.
Das kam in den von Atombombenabwürfen betroffenen japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki nicht ganz so gut an. Was auf den ersten Blick wie Verharmlosung wirkt, hat aber möglicherweise mit dem Wunsch zu tun, dem Düsteren und Bösen in der Welt etwas Lebendiges und Buntes entgegenzusetzen. Eine Art Verarbeitungsstrategie?
Um das alles mit noch mehr Kontext zu unterfüttern, haben wir weitere Materialien zur Biografie Oppenheimers zusammengestellt, die zeitgleich zum Filmstart erschienen sind und eine vertiefte Auseinandersetzung erlauben. Daneben dröseln wir einige der popkulturellen Zitate auf, die Greta Gerwig zusammen mit ihrem Co-Autor (und Lebensgefährten) Noah Baumbach in „Barbie“ verarbeitet hat, insbesondere die Filmreferenzen.
Original-Hörspiele zu Barbie-Animationsfilmen
J. Robert Oppenheimer
Die offizielle Biografie Oppenheimers aus dem Jahr 2006 stammt von dem US-amerikanischen Journalisten Kai Bird und dem Historiker Martin J. Sherwin.
Der tragische Konflikt des Wissenschaftlers, der zwischen Erkenntnisinteresse auf der einen Seite und der weltpolitischen Tragweite seiner Forschungsarbeit hin- und hergerissen ist, wird hier sinnbildlich an der mythologischen Figur des Prometheus ausgearbeitet. Das Buch wurde mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet und erschien im Sommer 2023 nun erstmals in deutscher Übersetzung. Es ist die Vorlage für das Biopic von Christopher Nolan.
Wer sich noch ein besseres Bild vom Menschen Julius Robert Oppenheimer machen möchte, sei auf diese raren Originalaufnahmen hingewiesen, die Anfang August 2023 als Mini-Hörbuchserie in zwei Teilen erschienen.
Ebenfalls nur auf Englisch veröffentlicht wurde 2020 der Science-Fiction-Roman The Oppenheimer Alternative des kanadischen Autors Robert J. Sawyer, der sich im Genre Alternate History, also „Alternative Geschichte“ bewegt. Die handelnden Figuren sind historisch überliefert, die beiden Autoren haben die Quellen akribisch recherchiert. Aber die Handlung weicht von den realen Ereignissen ab.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schließen sich die Physiker aus dem von Oppenheimer geleiteten „Manhattan Project“ mit Albert Einstein, dem Computerpionier John von Neumann und dem Raketenkonstrukteur Wernher von Braun zusammen, um die Erde zu retten. Denn Edward Teller, der etwa zeitgleich an der Wasserstoffbombe forscht, entdeckt, dass die Sonne bis zum Jahr 2030 ihre äußerste Schicht ausstoßen und das gesamte innere Sonnensystem zerstören wird – einschließlich der Erde. Fieberhaft müssen diese genialen Wissenschaftler, die im Krieg auf entgegengesetzten Seiten standen, nun zusammenarbeiten, um das zu verhindern.
Erschreckend realistisch: Mehr über Alternate History
Bekannte Filme, die in „Barbie“ zitiert werden
Barbie (2023) Trailer vs. 2001: A Space Odyssey (1968)
Von der Atombombe zur Atomblonden: die zahlreichen Anspielungen an bekannte Filme machen das Kinoerlebnis bei „Barbie“ regelrecht zum Kinoquiz. Am einprägsamsten ist die Eingangssequenz des „Barbie“-Films, die Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ zitiert. Anstelle von Affen sind es spielende Mädchen, die beim Anblick des gigantischen Barbie-Monolithen, der vor ihnen aus dem Nichts erscheint, ihre Puppen zerstören. Das lässt sich einerseits als Reifungsschritt auf dem Weg zum Erwachsenwerden interpretieren, aber auch als Einbruch der Macht des „Bösen“ in die Kinderzimmer weltweit. Diese schöne Puppe mit den überidealen Maßen stellt hinfort das Körperideal für ganze Frauengenerationen dar. Ein Ideal, an dem diese sich beständig messen und messen lassen, das jedoch unerreichbar ist.
Margot Robbins‘ „Barbie“-Figur hat eine prominente Vorgängerin: Catherine Deneuve in der Filmrolle, die ihr den internationalen Durchbruch brachte.
Les Parapluies de Cherbourg – Offizieller Trailer
„Die Regenschirme von Cherbourg“ von Jacques Demy aus dem Jahr 1964 ist ein romantisches Musical, in dem Pastelltöne und insbesondere die Farbe Rosa dominieren. Kein Wunder also, dass Greta Gerwig hier ein perfektes Vorbild für ihre Filmästhetik fand. Margot Robbins‘ Stereotype Barbie weist eine verblüffende Ähnlichkeit auf zu der später als Charakterdarstellerin bekannten Catherine Deneuve in ihrer Rolle als Regenschirmverkäuferin Geneviève Emery.
Die Geschichte der Fremden, die aus einer anderen, utopischen Welt in unsere Alltagswelt gelangt und diese durch ihre eigene Brille betrachtet, erinnert an Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“. Noch stärker sind jedoch die Reminiszenzen an den Film „Der Zauberer von Oz“.
Anders als Dorothy in „Der Zauberer von Oz“, die in einem magischen Land über den Wolken landet und nichts sehnlicher möchte, als in ihr gewohntes Zuhause auf der Erde zurückzukehren, kommt Stereotype Barbie selbst aus einer Art Wunderland in unsere Welt. Optisch ist die gewundene rosafarbene Ziegelstraße in Barbieland ein klares Zitat der gelben Ziegelstraße aus „Der Zauberer von Oz“. Der Film selbst ist als kleines Gimmick am Kino in Barbieland als Vorstellung des Tages angekündigt.
Ein ikonischer Filmmoment, der sich über die Jahre zum geflügelten Wort entwickelt hat, ist die Wahl zwischen der roten und der blauen Pille in „Matrix“ (1999). Protagonist Neo wird darin von Morpheus vor die Wahl gestellt, eine blaue Pille zu schlucken, um wieder in sein bisheriges Leben zurückzukehren oder eine rote, mit der er die Wahrheit über die Matrix erfährt. Morpheus steht im Film von Lana und Lily Wachowski für eine kleine Zelle nonkonformer menschlicher Rebellen innerhalb der Kunstwelt „Matrix“. Die Wachowskis haben die Idee von der Matrix wiederum der „Neuromancer“-Romantrilogie von William Gibson nachempfunden, einem Klassiker der Science-Fiction-Literatur der 1980er Jahre.
Stereotype Barbie muss sich nicht zwischen zwei Pillen entscheiden, sondern zwischen zwei unterschiedlichen Schuhen: den High Heels, um im Barbieland zu bleiben und den Birkenstocks, die sie hinaus in die Welt führen und ihr helfen, sich selbst zu entdecken. Diese scheinbare Wahl, die sich letztlich gar nicht stellt (denn Barbie muss „natürlich“ die Birkenstocks nehmen, da es kein Zurück gibt), wird ihr von der komischen Barbie offeriert. Gespielt von Kate McKinnon ist diese – genau wie Morpheus in der Matrix – eine nichtkonforme Figur in der perfekten Barbiewelt. Sie funktioniert nicht wie die anderen, sprich: sie ist kaputt und macht die ganze Zeit Spagat, nachdem ein Kind zu wild mit ihr gespielt hat. Sie ist der Morpheus im Barbieland.
Außerhalb von Barbieland trifft Stereotype Barbie auf Gloria, eine Angestellte bei Mattel. Sie ist das Kind, das früher mit ihr gespielt hat und diejenige, die mit ihren Zeichnungen Cellulite-Barbie und Todesgedanken-Barbie erschaffen hat. Als Glorias Gruftie-Tochter Sasha mitkriegt, wie ähnlich die beiden ticken, fragt sie ihre Mutter, ob sie und Stereotype Barbie gerade ihren „Shining“-Moment hätten, eine Anspielung auf die in Stephen Kings Shining zum Einsatz kommenden telepathischen Fähigkeiten des Jungen Danny.
Ken und die bösen Ken-Buben
Volleyball-Szene aus „Top Gun“ (1986)
Um noch einmal auf den eingangs erwähnten Tom Cruise zurückzukommen: Beach-Boy Ken, überraschend facettenreich gespielt von Ryan Gosling, wäre ohne eine Szene aus „Top Gun“ (Tony Scott, 1986) wohl auch nicht denkbar. Darin ist Tom Cruise als Lieutenant Maverick zu sehen, wie er mit seinen Kumpels Beach-Volleyball spielt. Schweißglänzende nackte Oberkörper und rohe Körperkraft, das Inbild kraftstrotzender Männlichkeit.
Als Barbie nach ihrem Ausflug in die Menschenwelt nach Barbieland zurückkehrt, hat Ken ein Patriarchat errichtet und alle Barbies sind in einer Art Bewunderungskoma für die tollen Machokerle gefangen. Um die Barbie-Herrschaft zurückzuerlangen, müssen Stereotype Barbie und ihre beiden Helferinnen aus der Menschenwelt, Gloria und Tochter Sasha, die Barbies um jeden Preis aus diesem Stupor erwecken. Dafür müssen die Kens abgelenkt werden. Präsidentin-Barbie heuchelt Interesse, als ein besonders selbstverliebter Ken ihr weitschweifig Francis Ford Coppolas Filmklassiker „Der Pate“ nacherzählt.
Die ganze Geschichte lässt sich natürlich auch im Buch von Mario Puzo nachlesen beziehungsweise -hören. Das dürfte sich etwas aufregender als die Ken-Erzählung gestalten.
Als die Kens merken, dass sie von den Barbies ausgetrickst wurden, reiten sie auf imaginären Pferden durch Kendom, um die entscheidende Verfassungsabstimmung zu verhindern, die ihnen ihre Macht wieder nehmen wird. Die Szene erinnert an Monty Pythons „Die Ritter der Kokosnuss“. In dem britischen Comedy-Kultfilm reitet König Artus mit seinem Diener Patsy ebenfalls ganz und gar pferdlos durch die englische Landschaft. Der Diener hat die Aufgabe, Kokosnüsse gegeneinander zu klopfen, um das Geräusch galoppierender Pferde zu imitieren.
Pegasus & Co.: Verweise auf Barbie-Animationsfilme
Einige Charakterzüge hat komische Barbie von der Hexe aus „Die kleine Meerjungfrau“ von Hans-Christian Andersen, da sie Barbie in die Menschenwelt schickt und ihr ihre magischen Objekte wegnimmt, gemeint: ihre High Heels. Diese symbolisieren ihre Zugehörigkeit zu Barbieland, eben wie der Fischschwanz die kleine Meerjungfrau zu einem Meereswesen macht. Ohne High Heels, also mit platten Füßen, ist Barbie im Barbieland am falschen Ort, sie passt nicht mehr hinein – ihre Welt ist ihr zu eng geworden.
Im Kosmos der Barbie-Animationsfilme erschien Anfang 2023 mit Barbie – Meerjungfrauen-Power ein Film, der dieses Thema variiert. Es ist der 40. Film dieser Reihe.
In Greta Gerwigs Realfilm über die Barbie-Welt finden sich weitere Verweise auf die Animationsfilme. Stellvertretend sei Barbie – Der geheimnisvolle Pegasus genannt. In einer der am Strand von Barbieland spielenden Szenen ist im Hintergrund an der Küste eine Pegasus-Statue zu erkennen, eine Hommage an den Animationsfilm aus dem Jahr 2005.
Feminismus und Körperpolitik
Der eine oder die andere mag den Film mit einem lachenden und einem weinenden Auge angesehen haben – lachend, weil es toll zu sehen ist, dass Feminismus auch komisch sein kann und dass diese Botschaft so viele Menschen weltweit erreicht. Und weinend, weil die Barbiepuppe eben seit so vielen Jahren weibliche Schönheitsideale stereotyp verkörpert und in das kulturelle Gedächtnis eingebrannt hat. Denjenigen sei noch ein Buch zum Thema Body Politics (Körpergeschichte) von Melodie Michelberger empfohlen.
Die frühere Brigitte-Redakteurin befasst sich darin mit Schönheitsidealen und der Frage, wer bestimmt, welche Frauenkörper als schön zu definieren sind. Sie argumentiert mit dem Feminismus für mehr Selbstakzeptanz und die Rebellion gegen Körpernormen und Körperbilder, die durch einen rein männlichen Blick geprägt sind. Ihrer Ansicht nach ist es Zeit für einen vielfältigeren, inklusiveren Blick auf Schönheit.
Über eine Milliarde Dollar hat der Film „Barbie“ zwischenzeitlich eingespielt – das höchste Ergebnis, das eine weibliche Regisseurin je erreicht hat. Auch das ist Teil einer feministischen Botschaft. Und vielleicht bringt der Barbie-Hype demnächst auch einen Bedeutungswandel für die Farbe Rosa mit sich. Dann wird womöglich das Tragen von Pink bereits als feministisches Statement und als Empowerment-Strategie gewertet …
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