Mit seiner visuell anspruchsvollen Bildsprache und einer Geschichte, die sich als philosophisches Entertainment bezeichnen lässt, setzte die erste Staffel der Serie "American Gods" 2017 ein Zeichen. Nun bringt der Pay-TV-Sender Starz (und bei uns Amazon Prime Video) die zweite Staffel der Fantasy-Serie, beruhend auf dem gleichnamigen Roman von Neil Gaiman aus dem Jahr 2001, heraus. Ab dem 11. März gibt es jeden Montag eine neue Folge und wenn man sich den Internet-Trend mal so anschaut, zeigt sich, dass das Fantasy-Roadmovie in aller Munde ist.
Der Hype ist gerechtfertigt: In harschen, opulenten Bildern, die so nie im amerikanischen Free TV gezeigt werden dürften, überfällt der mythologische Genre-Mix den Zuschauer. Vor Sex und Gewalt wird nicht zurückgeschreckt. Es ist düster, blutig und explizit, es ist vulgär und magisch, es ist extravagant und bizarr. Und es ist verwirrend.
Wer keine Ahnung hat von Neil Gaiman oder von Mythologie, gerät in Gefahr, überfordert abzuschalten oder zumindest sehr viel zu versäumen. Wir helfen euch ein bisschen aufs Trapez:
Worum geht es in Neil Gaimans American Gods?
Simpel gesagt geht es um den Kampf von alten Göttern gegen die neuen Götter. Die alten sind vor Jahrhunderten nach Amerika eingewandert und geraten in Vergessenheit. Weil keiner mehr an sie glaubt, verblassen sie, werden schwächer. Das moderne Amerika betet neue Götter an: die Medien, das Internet, Technologien.
Neil Gaiman, der ein großes Faible für Mythologie hat, schickt in seinem Roman einen gaunernden "Obergott" namens Mr. Wednesday los, um die alten Kollegen um sich zu scharen und in einem Kampf die neuen Götter zu besiegen. Dazu rekrutiert er Shadow Moon, einen Ex-Gefängnisinsassen, als Bodyguard und Werkzeug in einem betrügerischen Spiel. Aus Shadow's Sicht (in der Fernsehserie von Ricky Whittle dargestellt) erleben wir die Geschichte und finden durch ihn Zugang zur Welt der Götter.
Einwandererroman und Zeitgeistkommentar
Gaiman's Kultbestseller gewinnt derzeit neue Relevanz. Schließlich ist es - neben einem psychedelischen Trip in die Welt der Mythologie - eine Geschichte von Einwanderung, von aufeinander prallenden Traditionen, Glaubensrichtungen und Kulturen, von einem Ringen darum, wem die Macht in den USA gehört. Woran glauben wir? Existiert das, woran wir glauben, nur WEIL wir daran glauben? Das sind die eher philosophischen Fragen, die uns Gaiman - oft augenzwinkernd - stellt.
Hinter fast allen Figuren in American Gods stecken mehr oder weniger bekannte mythologische Gestalten aus aller Herren Länder und Glaubensrichtungen. Wir stellen euch zum besseren Verständnis die wichtigsten American Gods Charaktere kurz vor:
Die alten American Gods Götter (und ihre TV-Darsteller)
Mr. Wednesday (Ian McShane)
Wednesday (Deutsch: "Mittwoch") stammt vom angelsächsischen "Wodensday" ab, und "Woden" ist niemand geringerer als der nordische Göttervater Odin. Odin, Vater von Thor (ja, der mit dem Hammer) gilt als Gott der Weisheit und des Krieges. Odin hat nur noch ein (echtes)Auge, weil er das andere für einen Schluck aus dem Brunnen der Weisheit geopfert hat. In "American Gods" ist er zum gewitzten Trickbetrüger heruntergekommen, trommelt als Anführer und Vaterfigur für Shadow aber die alten Götter mit klugen Schachzügen zum Kampf zusammen.
Bilquis (Yetide Badaki)
Ihre Rolle wurde für die TV-Serie ausgebaut. Sie ist die Göttin der Liebe. Ihre Figur beruht auf der biblischen Königin Sheba, die als Dschinn, einer Mischung aus Mensch und Dämon, zum reichhaltigen Bestandteil orientalischer Märchen wurde. Im Roman hat sie einen kurzen aber denkwürdigen Auftritt, bei dem sie einen Mann wortwörtlich verschlingt - aber nicht mit dem Mund...
Mr. Nancy (Orlando Jones)
Hinter Mr. Nancy steckt der westafrikanische Gott Anansi. Auch er ist ein listiger Gott, der in Menschen- und Spinnengestalt auftreten kann. Dem Ashanti-Mythos nach krabbelte er als Spinne auf einen gigantischen Baum um dort die Weisheit der Welt einzusammeln und verteilte sie über die Erde. Neil Gaiman hatte solchen Spaß an dieser Figur, dass er Mr. Nancy zum Protagonisten seines "American-Gods"-Sequels machte: Anansi Boys, publiziert 2005.
Czernobog (Peter Stormare)
Bedeutet aus dem Slawischen übersetzt wortwörtlich "schwarzer Gott". Er ist die Personifizierung des Bösen und dunkler Zwillingsbruder von Belabog, dem "weißen Gott". In "American Gods" ist "Czernobog" ein osteuropäischer Immigrant und Schlachter mit einem furchterregenden, bluttriefenden Hammer, mit dem er eigentlich nur Shadow den Kopf einschlagen will. Er soll als Krieger für Mr. Wednesday fungieren.
Easter (Kristin Chenoweth)
Easter = Eostre ist eine der wenigen alten Gottheiten, die in "American Gods" noch florieren. Als germanische Göttin der Fruchtbarkeit und des Frühlings wird Eostre zu Ostern noch immer reichlich gefeiert. Sie kommt extravagant und in voller Büte daher, weshalb sie Mr. Wednesday's Kriegsplänen eher lustlos gegenübersteht.
Außerdem treffen wir noch auf den irischen Kobol
Mad Sweeney, auf die Hindu-Göttin Mama-ji, auf den Bestatter Mr. Jaqual alias Totengott Anubis, auf den Schreiber Mr. Ibis (Thot), den ausgefuchsten Feuer-Halbgott Loki als Knastkumpel Low-Key Lyesmith und viele weitere.
Die neuen American Gods Götter
Mr. World (Crispin Glover)
Der mysteriöse Oberschurke von "American Gods". Er ist der Anführer der neuen Götter und befehligt die Männer in den schwarzen Anzügen, die hinter Shadow her sind. Geheimnisvoll und elegant-bedrohlich, stellt sich im Roman am Schluss heraus, in welches Spiel mit doppeltem Boden Mr. World verwickelt ist.
Technical Boy (Bruce Langley)
Für die Serie wurde die Romanfigur upgedatet. Technical Boy repräsentiert das Internet, und das hat sich seit 2001 ganz schön verändert. Im Roman noch ein pickeliger, dicklicher Teenager, ist er auf dem Bildschirm ein virtuell geschniegelter Jüngling, der sich aus Pixeln zusammensetzt und in seiner e-Zigarette synthetische Krötenhaut raucht.
Media (Gillian Anderson)
Eine gender fluide Gottheit als Repräsentation des Fernsehens. Media tritt in Form von verschiedenen Personen auf, mal als Schauspielerin aus "I love Lucy" oder der Sitcom "Cheers", mal als männlicher Nachrichtensprecher.
Zu den neuen Göttern in American Gods gehören im Roman noch weitere „Men in Black“ wie Mr. Town, Mr. Stone und Mr. Wood, die für Straßenverkehr, Großstädte und andere moderne Merkmale stehen.
Delirium (Fieberwahn)
Den alten Griechen als Mania bekannt, ist Delirium das jüngste
der sieben Ewigen in in Gaimans Roman The Sandman. Sie erscheint als Teenager-Mädchen mit buntem Haar. Ihr Reich ist eine chaotische, sich ständig verändernde Masse von Farben, seltsamn Objekten und Formen. Sie hat einen kurzen Auftritt in "Amercian Gods".
American Gods Hörbuch
Spätestens jetzt dürfte klar sein, dass "American Gods" wesentlich besser zu verstehen ist, wenn man die Romanvorlage kennt. Die gibt es natürlich auch als Hörbuch, und das deutsche liest - ungekürzt! - der großartige Stimmenmorpher Stefan Kaminski. Sein unfassbares Talent, jeder Figur eine eigene Persönlichkeit zu verleihen, ist für das schillernde Götterensemble natürlich Gold wert.
Auf Englisch steht ihm der ebenfalls preisgekröntente George Guidall mit seinen diversen Akzenten in nichts nach, wirkt dabei nur väterlicher und ruhiger als der quirlige Kaminski. Auch diese englische Hörbuchversion ist ungekürzt.
Hier geht es zum ungekürzten englischen Hörbuch American Gods von Neil Gaiman
Mehr Götter, mehr Gaiman
Wenn ihr nach all dem von Neil Gaiman und seiner Welt nicht genug bekommen könnt - kein Problem! Dann hört euch doch einfach die von Gaiman frisch nacherzählten Nordische Mythen und Sagen an, ebenfalls gelesen von Stefan Kaminski. Oder lest auf dem Blog mehr über Die unheimlich phantastischen Welten von Neil Gaiman.